Digital colonialism, Gleichheit und Fairness in KI

Keynote von Bath und Bergermann im DHM gibt Einblick in Forschungsschwerpunkt

Unter dem Titel „Muster von Un/Gerechtigkeit. Digital colonialism, Gleichheit und Fairness in KI“ widmen sich die beiden Mitglieder des Braunschweiger Zentrums für Gender Studies in ihrer jüngsten gemeinsamen Keynote der künstlichen Intelligenz. Dabei bezeichnet „Digital colonialism“ keine räumliche Okkupation, sondern Formen von ökonomischer Hegemonie, in der die (Daten-)Wirtschaft des Globalen Südens von großen Unternehmen des Globalen Norden für die eigene Wirtschaftsentwicklung (aus-)genutzt wird (Stichwort: (Daten-)Extraktivismus). Dieses trägt zur Unterminierung des Lokalen bei. In ihrem Vortrag fragen Dr.-Ing. Dr. hc Corinna Bath und Prof. Dr. Ulrike Bergermann, was dieses im Bereich der KI bedeutet.

Dass KI-Algorithmen Stereotype stabilisieren und rassistische Praktiken verstärken, wurde zunächst im Modus der symbolischen Repräsentationslogik von KI-Systemen diskutiert. Im Zeitalter einer vernetzten und milieubezogenen, insofern ‚verkörperten‘ KI sind demgegenüber die Möglichkeitsbedingungen von Gerechtigkeit neu zu entwerfen. Hierfür müssen diese über die Logiken der Informatik, der Ethik und der Plattformökonomie hinausgehen.

Die Referentinnen untersuchen die Argumentationsstrategien um „Artificial Whiteness“ von Yarden Katz und der Indigenous protocols sowie die technischen Konzepte, die aus dem Feld des Computing heraus als Reaktion auf den erkannten Bias und nachgewiesene Diskriminierung durch KI-Systeme entwickelt wurden und auf Ethik, Gleichheit oder Fairness zielen. Mit der Forderung nach „Queerying Homophily“ von Wendy H. K. Chun und einer neuen Anerkennungspolitik fragen sie nach Möglichkeiten von Gerechtigkeit in, mit und durch KI-Design, Daten und Algorithmen, die eine verANTWORTliche, konsequent soziotechnische Re-Konfiguration von Menschen und Maschinen voraussetzt.

Wie eine gendergerechte Gestaltung autonomer Technologien in Zukunft aussehen kann

Dieser Frage widmete sich nicht nur die Keynote, sondern die gesamte internationale Tagung „Digital Gender: Ethik, Macht und (Geschlechter-)Wissen in Systemen künstlicher Intelligenz“ vom 24. bis zum 26. März 2022 im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden. Anhand von Artefakten der Digitalisierung und ihrer Alltagsdimensionen wurden an teils sehr konkreten Beispielen wie Algorithmen und Seifenspendern diskutiert, welche Chancen und Konflikte in Bezug auf Geschlechtersensibilität ersichtlich werden. Das Besondere der Veranstaltung war die transdisziplinäre Ausrichtung, in der sich geistes-, kultur- und sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung mit Erziehungswissenschaften und MINT-Disziplinen verbinden. So fanden sich eine große Breite an Themen zum Wechselspiel von Geschlecht und Technologie, was sich in den Workshop- und Panelthemen widerspiegelt: „Pädagogik des Digitalen“, „Informationelle Macht und subjektives Medienhandeln“, „Unboxing Platforms: Bodies and Identities in Scaled Futures“, „soziotechnische Geschlechterkonstruktionen“, „digital Dis-/Abilities und Gender“ und „spekulative Ästhetiken und posthumanistische Projektionen“. Die Tagung bildet den Abschluss des gleichfalls transdisziplinären Projektes „Digital Gender“ der GenderConceptGroup der TU Dresden, das die Geschlechterdimension von digitalen Artefakten untersucht.

Mensch-Maschine-Konfigurationen

Beide Wissenschaftlerinnen haben bereits intensiv im Promotionsprogramm „Konfigurationen von Mensch, Maschine und Geschlecht. Interdisziplinäre Analysen zur Technikentwicklung (KoMMa.G)“ zusammengearbeitet. Corinna Bath, bis Februar 2022 MGM-Professorin für „Gender, Technik und Mobilität“ (TU Braunschweig/Ostfalia) ist seit ihrem Studium in der feministischen Wissenschafts- und Technikforschung unterwegs. Zu einer verANTWORTlichen Objektivitätskultur forscht Corinna Bath gemeinsam mit Smillo Ebeling in einem aktuellen Forschungsprojekt zu Corona-Diskursen.
Ihre gesamte Arbeit im Rahmen ihrer fast zehnjährigen Professur und ihrer Mitgliedschaft in unserem Gender-Netzwerkes haben wir bereits in einem Beitrag zu ihrem Abschied gewürdigt.

Mit dem Promotionsprogramm hat sich auch Ulrike Bergermann, Medienwissenschaftlerin der HBK Braunschweig, vermehrt künstliche Intelligenz und Fragen sozio-technischer Netzwerke in den Blick genommen. So hat sie u.a. in ihrem 2018 erschienenen Buchbeitrag „Turing-Test, KI-Kino und Testosteron“ zum maschinellen Lernen die interaktive Verbindung von Lernen und Geschlecht aufgezeigt und die Promotion „Das Geschlecht der Technik. Zur Umsetzung einer geschlechtersensiblen Akteur-Netzwerk-Theorie“ von Ingo Bednarek im Rahmen von KoMMa.G betreute. Bereits vor dem Promotionsprogramm hat sie sich in ihrem 2015 erschienenen Buch „Leere Fächer: Gründungsdiskurse in Kybernetik und Medienwissenschaft“ Fragen der Kybernetik aus medienwissenschaftlicher Perspektive gewidmet.

Gender, postcolonial und Dis/Ability als weitere Forschungsschwerpunkte von Ulrike Bergermann

Ulrike Bergermann verbindet seit 2009 auf ihrem Lehrstuhl Forschungsinteressen im Bereich der Gender/Queer, Postcolonial und Dis/ability Studies mit sowohl medientheoretischen als auch wissenschaftshistorischen Ansätzen. Methodisch nutzt sie primär die historische Diskursanalyse, geleitet von Dekonstruktion, Cultural Studies und Queer Theory. Dabei verbindet Bergermann auch künstlerische Arbeiten mit theoretischen Reflexionen, wovon z.B. das Symposium mit Ausstellung „To Revolutionary Type Love – exhibition presented by Kawira Mwirichia, Malcolm Muga, and Faith Wanjala“ zeugt.
Ein Blick in ihre umfangreiche Publikationsliste zeigt eine Vielfalt an Themen: Fahrradutopien, Klasse Haltung und Deep Empire sind die drei obersten aktuellen Einträge der Publikationen im Druck.
Ulrike Bergermann gibt zudem die Buchreihe „Post_koloniale Medienwissenschaft“ bei transcript sowie mit anderen den Gender-Blog der zfm – Zeitschrift für Medienwissenschaft heraus.

Zu Ulrike Bergermann

Prof. Dr. Ulrike Bergermann
Hochschule für Bildende Künste Braunschweig
Institut für Medienwissenschaft
Johannes-Selenka-Platz 1, 38118 Braunschweig

Homepage (HBK)
Homepage (eigene)

Forschungs- und Lehrschwerpunkte:
Medienwissenschaftliche Gender, Postcolonial und Dis/ability Studies.

Seit 2009 ist Ulrike Bergermann Mitglied des Braunschweiger Zentrums für Gender Studies bzw. des Braunschweiger Netzwerks für Gender und Diversity Studies und war bis zu ihrer Auflösung 2019 Mitglied der Gemeinsamen Kommission Gender Studies.

Zu Corinna Bath

Dr.-Ing. Corinna Bath
c.bath@tu-braunschweig.de

Homepage

Forschungs- und Lehrschwerpunkte:
Geschlechterforschung in Maschinenbau und Informatik
Wissenschafts- und Technikforschung (Feminist Science and Technology Studies))
Design Justice/ Diffractive Design
Feministische Theorie und Epistemologie
Inter- und Transdisziplinarität

Die Professur von Corinna Bath wurde gemeinsam vom Braunschweiger Zentrum für Gender Studies und Prof. Dr. Bettina Wahrig im Maria-Goeppert-Mayer-Programm des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur eingeworben. Seit ihrem Ruf ist Corinna Bath bis zum Ende der Professur im Februar 2022 Mitglied des Braunschweiger Zentrums für Gender Studies bzw. des Braunschweiger Netzwerks für Gender und Diversity Studies und hat eng mit der Geschäftsstelle bzw. Koordinierungsstelle zusammengearbeitet.