Im dialogischen Prozess kommen Fragen und Diskussionspunkte auf, wovoen hier einige aufgegriffen und beantwortet werden. Dabei werden auch Begriffe wie Geschlechterdimensionen oder das zugrundegelegte Verständnis von Interdisziplinarität geklärt. Diese Seite entwickelt sich im Laufe des Projektes entsprechend der Diskussionen weiter.
Gender-Bias: Was ist das? >>
Geschlechterdimensionen: Was ist damit gemeint? >>
Gleichstellung – Geschlechterforschung: Was ist der Unterschied? >>
Inter- und Transdisziplinarität: Wie verwendet das Projekt IH2E die Begriffe? >>
Mehraufwand: Inwiefern geht die Integration von Geschlechterdimensionen mit einem Mehraufwand einher >>
Gender-Bias
Was ist das?
Als Bias werden Verzerrungseffekte bezeichnet, die durch unbewusste oder bewusste Stereotype und Vorurteile entstehen und Wahrnehmungen, Handlungen und Verhalten beeinflussen. Dem entsprechend entstehen Gender Bias durch Geschlechter-Stereotype und -Vorurteile. Diese prägen ebenso den Alltag, die Kommunikation und Entscheidungen wie die Wissenschaft – und somit auch die Forschung.
Mehr zum Begriff inklusive weiterführende Literatur findet sich beim CEWS – Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung >>.
Die Europäische Kommission führt das Thema in dem Erklärvideo „The gender dimension in research“ aus.
Geschlechterdimensionen
Was ist damit gemeint?
Die Relevanz von Geschlecht ist je nach Forschungskontext und -thema unterschiedlich, sodass die Geschlechterdimensionen, d.h. die Art und Weise der notwendigen Berücksichtigung von Geschlecht, jeweils spezifisch zu bestimmen sind. Geschlecht wird dabei als integrale Perspektive und analytische Kategorie in Bezug auf den Forschungsgegenstand verstanden. In Anlehnung an Londa Schiebinger lassen sich inhaltliche, strukturelle und kulturelle Dimensionen unterscheiden (vgl. Paulitz 2012: 166).
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„In der Grundlagenforschung können Geschlechter- und Vielfältigkeitsdimensionen für die Planung und Durchführung von Forschungsprojekten ein entscheidender Faktor sein. Dies gilt ganz unabhängig von der Disziplin und etwa dann, wenn es um die Übertragbarkeit von Ergebnissen auf und ihre spätere Anwendbarkeit oder Nutzbarkeit für unterschiedliche Personengruppen geht“ (DFG-Stellungnahme 2020: 2).
Bei der Entwicklung von Materialien und Techniken oder der Analyse von stofflichen Reaktionen und Prozessen wie z.B. der Entwicklung von E-Motoren wirkt Geschlecht meist nicht auf der Wissensebene, d.h. im Beispiel auf die Funktionsweise des E-Motors. Das genannte Forschungsfeld hat dann keine inhaltliche Geschlechterdimension. Bestehen Geschlechterungleichheiten in Bezug auf die Forschenden und ihre Arbeitssituation, so können dennoch strukturelle und kulturelle Geschlechterdimensionen in dem Forschungsprojekt Bedeutung erlangen; die Wirkung von Geschlecht auf Struktur und Kultur der beteiligten Wissenschaftsdisziplinen ist dann genauer zu betrachten (vgl. DFG Checkliste). Inhaltliche Geschlechterdimensionen werden insbesondere dann relevant, wenn Mensch oder Tier Teil der Forschung oder Anwendung sind (vgl. ebd.), in dem Beispiel u.a. in Produktentwicklung und -design von E-Autos.
Mit der Wissenschaftssoziologie kann gefragt werden, a) wie das sozial bzw. kulturell hervorgebrachte Verständnis von Geschlecht die Wissenschaft beeinflusst, b) wie Wissenschaft selbst an der Konstruktion dieses Geschlechterverständnisses beiträgt und c) die Ressourcen in der Wissenschaft auf die Geschlechter (un)gleich verteilt sind (vgl. Paulitz 2012).
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fordert in ihrer Checkliste konkrete Ausführungen, wenn – Menschen und Tiere erforscht werden – Forschungsergebnisse für Menschen und/oder Tiere nutzbar sein bzw. an ihnen zur Anwendung kommen sollen. – Geschlecht und/oder Vielfältigkeitsaspekte der Forschenden bzgl. Arbeitsprogramm und Untersuchungsmethoden von Bedeutung für die zu erwartenden Ergebnisse sein könnten. |
Paulitz, Tanja (2012): Geschlechter der Wissenschaft. In: Maasen, Sabine/ Kaiser, Mario/ Reinhart, Martin/ Sutter, Barbara (Hg.): Handbuch Wissenschaftssoziologie. Wiesbaden: Springer VS, S. 163-175 >>
Gleichstellung – Geschlechterforschung
Was ist der Unterschied?
Während Gleichstellung oder Chancengleichheit eine Policy ist, die danach fragt, wer forscht, ist die Geschlechterforschung ein wissenschaftliches disziplinäres Feld; hier geht es um die Frage, was und wie geforscht wird und welche Bedeutung Geschlechterdimensionen für die Forschung haben. Die Geschlechterforschung kann dabei Erkenntnisse für eine erfolgreiche Policy liefern.
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Gleichstellung, englisch Equality, ist eine (hochschul-)politische Strategie. Sie zielt in Bezug auf Geschlecht darauf, dass benachteiligte oder unterrepräsentierte Gruppen durch Maßnahmen zahlenmäßig in gleichen Anteilen in der Arbeitswelt, der Politik, der Wirtschaft, der Gesellschaft etc. teilhaben. Männer und Frauen – im besten Fall alle Geschlechter – müssen „auf dem gesamten Lebensweg die gleichen Chancen erhalten – persönlich, beruflich und familiär“ (BMFSFJ, Thema Gleichstellung). Das heißt u.a. gleiche Zugangschancen zu Bildungsinstitutionen und Arbeitsmarkt, gleiche Teilhabe in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, gleiche Entlohnung für gleiche Arbeit und vieles mehr. Es gilt Mechanismen und Regelungen zu identifizieren, die zu Ungleichheit führen und diesen entgegenzuwirken. Insofern gilt es auch Rahmenbedingungen zu schaffen, die für gleiche Karrierechancen sorgen.
Im Hochschulkontext in Bezug auf MINT-Disziplinen heißt dieses insbesondere, durch Maßnahmen das Interesse von Schüler*innen an MINT-Fächern zu wecken, Studieninteressierte zu gewinnen, den Frauenanteil auf allen Ebenen zu erhöhen und Nachwuchswissenschaftler*innen zu halten. Gleichzeitig entstehen aus (unbewusst) vergeschlechtlichten Fachkulturen Barrieren, die Ungleichheitsstrukturen bedingen und aufrecht erhalten. Die Box MINT4TU versammelt an der TU Braunschweig existierende Gleichstellungsmaßnahmen im MINT-Bereich.
Geschlechterforschung, englisch Gender Studies, ist eine wissenschaftliche Disziplin oder ein wissenschaftliches disziplinäres Feld. Es ist die theorie-, methoden- und empiriegeleitete Auseinandersetzung mit der Frage, welche Bedeutung Geschlecht in allen Bereichen des menschlichen Lebens hat. „Leitend ist dabei die Annahme, dass Geschlecht komplex ist. Es ist zugleich individuelle Erfahrung, soziale Strukturkategorie, kulturell-symbolischer Code, körperlich-leibliche Materialität, Dimension und Effekt sozialer Praxen, Teil von Organisationen und Institutionen, literarisches Narrativ usw.“ (Lehrstuhl von Prof. Dr. Paula-Irene Villa, mehr dazu hier).
Wie andere Disziplinen auch sind die Gender Studies in ihren Anliegen, Erkenntnisinteressen sowie methodischen und theoretischen Zugängen heterogen. Der Wissenschaftsrat konstatiert: „Die Geschlechterforschung untersucht mit unterschiedlichen Theorien und Methoden, auf verschiedenen Ebenen und für verschiedene gesellschaftliche Bereiche, Epochen und Kulturen, was unter der Kategorie Geschlecht zu verstehen ist, wie sich Geschlechterverhältnisse konstituieren und ausgestalten sowie welche Relevanz – auch in historischer Perspektive und in verschiedenen sozialen Zusammenhängen – Geschlechterdifferenzen, Geschlechterrollen und Geschlechteridentitäten für den einzelnen Menschen und die Gesellschaft haben.“ Er verweist auf die Notwendigkeit, „die Geschlechterforschung als breites Forschungfeld zu begreifen, das nicht von einer einzelnen Disziplin bearbeitet werden kann, sondern multidisziplinär und im Idealfall auch inter- und/oder transdisziplinär aufgestellt sein muss“ (WR 2023: Empfehlungen, S. 13f.).
Ein Einblick in diese Heterogenität in Bezug auf die MINT-Disziplinen bietet die im IH2E-Projekt erstellte Materialsammlung.
Trennung oder Verschränkung? Wichtig ist, die Differenzen zu begreifen, da mit Gleichstellung und Geschlechterforschung unterschiedliche Zielperspektiven und Handlungsfelder verbunden sind: Gleichstellung als Policy und Geschlechterforschung als Teil von Forschung und Lehre. Die Geschlechterforschung kann auch Analysen bieten, auf deren Basis Policy sachbasiert betrieben werden kann. Die Erforschung von Werdegängen in den Fächern der Excellenzcluster (EXC) und Sonderforschungsbereiche (SFB) ist ein Beispiel von Geschlechterforschung im Cluster SE2A. Dazu parallel eingeführte SE2A-Gleichstellungsmaßnahmen finden sich hier aufgeführt.
Dies verdeutlicht, dass Geschlechterforschung – wie jedes wissenschaftliche Feld – in erster Linie Analysen liefert und erst in zweiter Linie damit Ansätze für die Anwendung ermöglicht. Geschlechterforschung in MINT bietet Analysen für die Bereiche, in denen Geschlecht als Gegenstand in den Technik- und Naturwissenschaften erkannt und berücksichtigt werden kann. Dieses hat das Potential für MINT-Disziplinen, aufgrund ergänzender Themen und sich verändernder Fachkulturen für neue Zielgruppen aller Qualifikationsstufen attraktiver zu werden. Das hat wiederum auch einen möglichen Effekt für eine größere Teilhabe aller Geschlechter an diesem wissenschaftlichen Feld. Weitere Beispiele für die MINT-Disziplinen liefert die Handreichung „Gender-Perspektiven in den Natur- und Technikwissenschaften“ des Projektes „Gendering MINT“ an der Universität Freiburg.
Mangelsdorf, Marion (2019): Handreichung Gendering MINT. Vernetzung und Austausch von Gender-Perspektiven in den Natur- und Technikwissenschaften. Universität Freiburg (zum pdf)
Inter- und Transdisziplinarität
Wie werden die Begriffe im Projekt IH2E verwendet?
Interdisziplinarität umfasst im Verständnis der TU Brauschweig eine Zusammenarbeit von zwei oder mehr Disziplinen, die gemeinsam ein Thema bzw. Gegenstand erforschen. Bei transdisziplinärer Forschung sind darüber hinaus außeruniversitäre Kooperationspartner*innen aus Wirtschtschaft, Gesellschaft und Politik beteilgt. Eine Kooperation, in der ein gemeinsames Themengebiet arbeitsteilig bearbeitet wird, fasst der Wissenschaftsrat als multidisziplinär.
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In Anlehnung an Mittelstraß (2013) gilt es dabei: 1) voneinander lernen zu wollen 2) in eine produktive Auseinandersetzung mit anderen Disziplinen interdisziplinäre Kompetenzen zu erarbeiten, 3) eigene Ansätze im Licht dieser zu reformulieren und 4) gemeinsame und nicht additive Ergebnisse zu generieren. Als verschiedene disziplinäre Perspektiven integrierendes Konzept bedarf es nicht nur einer verstärkten Kommunikation, sondern Zeit für die gemeinsame Entwicklung inter- und transdisziplinärer Kompetenzen und ihrer Anwendung im konkreten Forschungsfeld.
In den Gender Studies wird die Forschungszusammenarbeit über die Grenzen der großen Wissenschaftskulturen hinweg, d.h. zwischen MINT-Disziplinen und Geistes-, Kultur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften häufiger als Transdisziplinarität oder auch Große Interdisziplinarität gefasst.
Mittelstraß, Jürgen (2012): Transdisziplinarität. Oder: von der schwachsen zur starken Interdisziplinarität. In: Gegenworte, 28. Heft, S. 10-13 (zum pdf)
Wissenschaftsrat (2020): Wissenschaft im Spannungsfeld von Disziplinarität und Interdisziplinarität. Positionspapier. (zum pdf)
Mehraufwand
Inwiefern geht die Integration von Geschlechterdimensionen mit einem Mehraufwand einher?
Genderdimensionen zu durchdringen, das eigene Wissen, die disziplinären Selbstverständlichkeiten und Forschungsroutine zu hinterfragen und schlussendlich über eine gelungene Übersetzungsarbeit Perspektiven anderer Disziplinen in eine gemeinsame Forschungsprojekt zu integrieren, bedeutet einen Mehraufwand für die Forschenden.
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Entsprechend wird in der Nachlese der Podiumsdiskussion „Von Gender-Stereotypien, Nutzungskontexten und der Bedeutung einer gemeinsamen Sprache“ festgehalten:
„Als zentrale Erfolgsfaktoren für interdisziplinären Austausch wurde genannt, eine gemeinsame Sprache zu finden und in der Projektkonzeption und -durchführung den entsprechend erforderlichen Raum dafür vorzusehen. Jede Disziplin entwickelte über eine lange Zeit ihre eigene Logik. So gehe es darum, die jeweils andere Logik zu verstehen, aber auch die eigene zu hinterfragen. Zeit für diese wichtigen Übersetzungsleistungen einzuplanen, bedeute letztlich einen Mehraufwand.“ (GenderAG 2012, S. 5)
Förderinstitutionen legen zunehmend Geschlechter- und Vielfältigkeitsdimensionen als Bedingung für die Förderfähigkeit fest. Die Integration von Geschlechterdimensionen ist schon lange nicht mehr eine reine Pionier*innenarbeit. Dies zeigen die umfangreichen Veröffentlichungen und Fallbeispiele, die bereits eine Übersetzungsarbeit in Methoden und Logik der eigenen Fachrichtung enthalten (z.B. bei Gendered Innovations oder in der Broschüre von Kilden – weitere Hinweise unter „Relevanzprüfung“ und „Material“). Dennoch sollte für Arbeiten im interdisziplinären Kontext und für die Beschäftigung mit neuen Perspektiven in der Projektplanung Zeit eingeplant und ein reger Austausch während des gesamten Projekts gepflegt werden.
Unterstützende Strukturen, wie sie mit dem IH2E-Projekt an der TU Braunschweig implementiert werden sollen, können Bedarfe ermitteln und gezielte Beratung anbieten. Langfristig muss das Prüfen und Erkennen von Genderdimensionen in Forschung als nachhaltiger Bestandteil des Studiums und der Forschung in allen Bereichen gesehen und implementiert werden, sodass die erweiterte Perspektive zum Standard wird.
IH2E ist ein Projekt der TU Braunschweig. Es wurde in Kooperation mit dem Braunschweiger Zentrum für Gender Studies eingeworben.