MedienBar (3): Geschlechtliche Selbstbestimmung

Materialien rund um das geplante Gesetz

Vektorgrafik mit diversen Medien

Warum braucht es ein neues Gesetz? Was soll da drinne stehen? Und was meint eigentlich geschlechtliche Selbstbestimmung?
Geplant ist ein Reformentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz, mit dem das veraltete und teilweise rechtswidrige „Transsexuellengesetz“ (TSG) ersetzt werden. Ziel ist es, ein einheitliches Verfahren zur Änderung des Personenstandseintrags (Name und Geschlecht) zu schaffen, das für trans*, inter* und nicht-binäre Menschen ohne diskriminierende Begutachtungen und Fremdbestimmung gleichermaßen gültig ist. Medizinische Maßnahmen werden hier nicht geregelt.

Selbstbestimmt leben zu können ist für alle Menschen wichtig!

Unsere garantierten Grundrechte umfassen die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Achtung der Privatsphäre und die Nichtdiskriminierung. Das Recht auf Selbstbestimmung war und ist eine Forderung der Frauenbewegung, die gleichermaßen für alle Geschlechter gilt. Material zur Geschichte dieses Kampfes werden wir 2023 in einem eigenen Beitrag in der MedienBar präsentieren.

2007 wurde von international anerkannten Menschenrechtler*innen 29 Prinzipien in Bezug auf Menschenrechtsgewährleistung für LGBTI veröffentlicht und 2017 um 10 weitere Prinzipien erweitert: Die Yogyakarta-Prinzipien (im englischen Original The Yogyakarta Principles. Principles on the application of international human rights law in relation to sexual orientation and gender identity). Sie haben zum Ziel, auf nationaler und internationaler Ebene Bestimmungen zu etablieren, die ein diskriminierungsfreies Leben queerer Menschen garantieren. Darunter findet sich auch die schnelle juristische Anerkennung der eigenen Geschlechtsidentität.

Das konkrete Gesetzesvorhaben in Deutschland

In Deutschland könnte diesem Grundsatz der Yogyakarta-Prinzipien das geplante Selbstbestimmungsgesetz der rot-grün-gelben Regierung Rechnung tragen.

Auf der Seite des Bundesministeriums für Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) finden Sie einen allgemeinen Überblick zu Fragen und Antworten rund um das Gesetzesvorhaben. Sie erfahren z.B., welche Regelungen für Minderjährige gelten, welchen Voraussetzungen gelten und welchen Einfluss es für die Gleichstellungspolitik, Frauenschutzräume und Sport hat. Die Seite gibt einen kurzen Überblick zu den wichtigsten Aspekte und ist für alle geeignet, die allgemeine Informationen zum Selbstbestimmungsgesetz erhalten wollen.

Wenn Sie nach mehr detaillierte Informationen suchen, empfehlen wir Ihnen den Beitrag „Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum geplanten Selbstbestimmungs-Gesetz“ des LSVD. Hier geht es um das alte TSG und um die Gründe, warum es abgeschafft werden soll. Außerdem werden die Positionen der verschiedenen politischen Parteien geschildert.

Geplant war die Reform für Ende dieses Jahres, doch lässt sich dieses kaum mehr einhalten. Mit einer Umsetzung 2023 kann jedoch gerechnet werden.

Dass die geplante Gesetzgebung auf Kritik stößt, mag nicht unbedingt überraschen, dass diese aber mit menschenfeindlichen Argumentationen unterlegt wird, wurde in unserem Beitrag zur Solidarität mit trans* Personen bereits ausgeführt und zuletzt auch einem breiteren Publikum durch die Sendung ZDF Magazin Royal vom 02. Dezember 2022 mit Jan Böhmermann bekannt.

Ein Blick nach Europa: Beispiel Island

In anderen europäischen Ländern ist geschlechtliche Selbstbestimmung bereits juristische Realität. In Island zum Beispiel beschloss das Parlament Alþingi bereits 2019 ein Selbstbestimmungsgesetz, welches neben den traditionellen Nachnamensendungen -son und -dóttir auch die neue geschlechtsneutrale Endung -bur einführte. Ebenso wurden alle Vornamen für Personen jedweden Geschlechts zugelassen; vorher gab es wie hierzulande Vornamen, die nur an männliche und weibliche Personen vergeben werden durften. Für die Änderung des Geschlechtseintrags und Namens reicht eine kurze Erklärung und es müssen keine medizinischen oder psychiatrischen Gutachten mehr zur Bedingung einer solchen Änderung vorgelegt werden.

Unterschiedliche Beiträge zum Thema Selbstbestimmung, auch in anderen Ländern, finden Sie im Portal „Echte Vielfalt“, das seit 2021 durch das Deutsche Institut für Sozialwirtschaft (DISW) betrieben wird.

O-Töne

Warum ist das Selbstbestimmungsgesetz notwendig und wird gebraucht? Ohne das Wort der Menschen, für die es wichtig ist, wäre unseres Erachtens dieser Beitrag nicht vollständig. Hier sind einige O-Töne:

In dem Podcast „Jeder Mensch muss selbst bestimmen können, wer er ist“ (Dauer 7:54 Min.) legt die Journalistin Georgine Kellermann da, warum der transgender Day of Visibility wichtig ist, warum das geplante Selbstbestimmungsgesetz notwendig ist und was sie Alice Schwarzer entgegnet.

„Alles, was du über das Geschlecht glaubst zu wissen, kannst du jetzt vergessen“. Mit diesem Satz fängt der kurze Film „Bestimmt nicht“ (Dauer 20:05 Min.) an, in dem Menschen ihre Erfahrungen als unterschiedlich identifizierte Personen erzählen.

Was das aktuelle TSG für Menschen bedeutet, zeigt die Dokumentation „Ab heute – Der lange Weg zum eigenen Namen“ (Dauer 47:06 Min.), die trans* Personen und Aktivist*innen zu Wort kommen lässt. Neben einer aus Ausschnitten von Interviews zusammengestellten Dokumentation finden sich auf dieser Homepage auch die Interviews in voller Länge. Es eignet sich somit für Interessierte als auch als Quellenmaterial für wissenschaftliche Untersuchungen, insbesondere die Interviews in völler Länge.

Für Kinder gibt es es auch das Video Ich bin eine trans Frau aus „Die Sendung mit der Maus“ (Dauer 14:46 Min.), in dem die trans Frau Katja zu Wort kommt.

Postkoloniale Sichtbarkeit – ein Projekt

Wussten Sie, dass vielfältige geschlechtliche Identitäten in einigen Gesellschaften bis zum Kolonialismus respektiert wurden?
Um wieder Aufmerksamkeit für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in indigenen Völkern zu schaffen, gibt es in Kanada das Projekt Tipi Confessions, was unter anderem von der Wissenschaftlerin Kim TallBear mitinitiiert wurde. Die Events, die an verschiedenen kanadischen Orten durchgeführt werden, fordern die Anwesenden dazu auf, auf Karten mit der Aufschrift „I confess…“ kleine Geständnisse zu machen. Diese werden dann anonym in einer Slideshow mit passenden (lustigen) Bildern aufbereitet. Dass dies alle geschlechtlichen Identitäten und Sexualitäten miteinbezieht, machte Kim TallBear bei der Vorstellung des Projekts auf der NORA 2019-Konferenz in Reykjavik deutlich: „Remember, tipis have no closets.“ – ein Wortspiel mit „in the closet“, was im Englischen eine ungeoutete Person beschreibt. Das Sprechen-Können soll zu einer (Re)Normalisierung der verschiedenen Weisen von Geschlechtsidentitäten und Sexualitäten beitragen.

Veranstaltungshinweis: 19.12.2022

Und zuletzt möchten wir Sie gerne zu einem öffentlichen Online-Vortrag von Hannah Engelmann-Gith  „Geschlechtliche Selbstbestimmung: wie, warum, für wen?“ am 19.12.22 um 18:00 Uhr der Hochschule Emden-Leer einladen. In der Veranstaltung geht es um das Selbstbestimmungsgesetz, Argumente unterschiedlicher Gruppen und falsche Informationen um das Thema.

Unsere MedienBar

Wir bringen seit Oktober 2022 in unregelmäßigen Abständen in dieser Serie MedienBar Beiträge, in denen wir multimediale Materialien zu queer-feministischen Themen vorstellen.

Wenn Sie Material zu einem bestimmten Thema suchen oder entsprechende Tipps für uns haben, schreiben Sie gerne an Katja Barrenscheen.

Bisher erschienen
MedienBar (1): Gender-Mediathek
MedienBar (2): Willkommen im Club