Ein Fazit zur ersten Projektphase
Die erste Förderphase des BZG-Projektes „Gender-Zertifikat Bachelor“ geht dem Ende zu. Zeit, ein Resümee zu ziehen, bevor die zweite Förderphase beginnt. Kurz gesagt: Anhand der Abschlüsse lässt sich zeigen, dass der Aufbau des neuen Zertifikatangebots gut funktioniert und das Angebot angenommen wird.
Schöner Moment, erste Gender-Zertifikate zu übergeben
Geschafft! Im Sommersemester 2023 konnten die ersten vier Gender-Zertifikate Bachelor übergeben werden. Ein Jahr später haben bereits 16 Studierende aus verschiedenen Fächern das Zertifikat innerhalb des Projektes abgeschlossen. Allein im Juli 2024 waren es fünf.
Flexible Zeitstruktur ermöglicht individuelle Zeitverläufe
Im Zertifikat-begleitenden Kolloquium (1 SWS) werden die Studierenden bei Themenfindung und Entwicklung der Fragestellungen für die beiden Modul-Abschlussarbeiten unterstützt. Alle Studierenden besuchen das Kolloquium mindestens ein Semester lang, manche nutzen auch länger diesen Austauschraum, bis sie – im eigenen Zeitrhythmus – ihre Themen gefunden haben.
Es gibt Studierende, die innerhalb eines Semesters alle für das Zertifikat erforderlichen Lehrveranstaltungen besuchen und außerdem im Kolloquium-Kontext die Reflexionsarbeit konzipieren und das Transferprojekt bearbeiten – und präsentieren. Auch wenn Leistungen aus dem bisherigen Studiumsverlauf angerechnet werden können, kann das Zertifikat zügig absolviert werden. Andere Studierende nehmen sich oder brauchen mehr Zeit: Sie besuchen z.B. alle Gender-Lehrveranstaltungen zusätzlich zu ihrem Studium und nutzen das Kolloquium semesterübergreifend länger, um ein Thema zu finden und abschließend zu bearbeiten. Durch diese zeitliche Flexibilität des Zertifikatangebots können Studierende ihre unterschiedlichen Studienbedingungen (verschiedenster Fächer) gut mit den Zertifikatsanforderungen vereinbaren.
Staffelübergaben stärken die Interdisziplinarität
Da es den Teilnehmenden freigestellt ist, in welchem Zeitrahmen sie das Zertifikat absolvieren möchten, variiert die Gruppenzusammensetzung im Kolloquium. So können manche Projekte in verschiedenen Gruppenzusammensetzungen geteilt und weiterentwickelt werden.
Alina Meyer hat z.B. freiwillig ein zweites Mal im neuen Semester präsentiert und sich über das erneute Feedback von Studierenden aus anderen Fächern gefreut. Diese „Staffelübergabe“ ermöglicht den neuen Teilnehmenden einen guten Einblick in den Aufbau und die Anforderungen an die Abschlussleistung.
Aufgrund der sehr guten Resonanz wurde es Studierenden auch in den folgenden Semestern ermöglicht, ihre Ideen (auf Wunsch) mehrfach zu diskutieren. Manche nutzten dies, um zunächst kurz erste Ideen zu skizzieren und zu einem späteren Zeitpunkt dann Ergebnisse zu präsentieren.
Zertifikatsmodul „Grundlagen der Gender Studies“
Dieses Zertifikatsmodul (6 CP) fokussiert grundlegende Begriffe, Grundkenntnisse und Theorien der Gender Studies. Aufbauend auf den besuchten Seminaren wird in der das Modul abschließenden Reflexionsarbeit (2 CP) eine ausgewählte Fragestellung mit Theoriebezug vertieft.
Das Beispiel einer Reflexionsarbeit
Eine Reflexion einer Studentin der Sozialwissenschaften setzte sich mit der Kritik von Judith Butler in „Die Macht der Gewaltlosigkeit. Über das Ethische im Politischen“ (Berlin 2020) auseinander. In diesem Text hinterfragt Butler die These des Naturzustands (nach Hobbes). Die Studentin arbeitete in ihrer Reflexion die Argumente Butlers heraus und erläuterte sie vor dem Hintergrund der feministischen Ethik. Dabei wurde das negative Menschenbild (Leviathan) kritisiert und zugrundeliegende Machtstrukturen, Ungleichheiten und Abhängigkeiten aufgezeigt. Ausblickend diskutierte sie, wie diese feministische Kritik als „Werkzeug“ für die eigene spätere Textarbeit oder allgemeiner für ihr eigenes Studium genutzt werden kann.
Zertifikatsmodul „Gender Studies in der Praxis“
Dieses Modul (6 CP) wird mit einem Transferprojekt (3 CP) abgeschlossen. Im Transferprojekt wird untersucht, inwiefern Elemente einer Gender-Lehrveranstaltung in ein Anwendungsfeld im eigenen Studium transferiert werden können. Dazu wird eine Lehrveranstaltung im Kernbereich des eigenen Studiums aus der Genderperspektive analysiert.
Zwei Transferprojekte als Beispiel
Während die Reflexion auch Überlegungen zur persönlichen Haltung und dem eigenen Handeln einschließt, wird im Transferprojekt das eigene Studium und die zukünftige Berufspraxis in Hinblick auf Aspekte der Gender Studies untersucht. Ideen für die Integration von Geschlechterdimensionen wurden in den folgenden zwei Transferprojekten entwickelt:
- Ein Transferprojekt zeigte Leerstellen im Kunstwissenschaftsseminar und in Schulcurricula auf. In einer exemplarisch untersuchten Lehrveranstaltung zeigte sich eine Dominanz cis-männlicher Künstler und Theoretiker. Im Transferprojekt wurden die „klassischen Theorien“ aus der besuchten Lehrveranstaltung um Queer(ende) kunstwissenschaftliche Perspektiven erweitert und dabei exemplarisch verschiedene feministisch-künstlerische Positionen zur Einbindung in den Lehrkanon vorgeschlagen. Die Dominanz cis-männlicher Künstler und Theoretiker zeigte sich auch bei einer Analyse der Pläne von vier niedersächsischen Gymnasien. Ausblickend wurden – auch abgeleitet aus den theoretischen Fragestellungen der queer(enden) Kunstwissenschaft – Ideen für die zukünftige Schulpraxis gegeben.
- Das andere Transferprojekt thematisierte die mangelnde Sensibilisierung für Geschlechtsunterschiede in der Psychotherapieausbildung. Anhand der Ausbildungsgrundlagen wurde dargestellt, inwieweit Geschlechtsunterschiede in der aktuellen Psychotherapieausbildung thematisiert werden. Am Beispiel des Krankheitsbildes „Depression“ wurde anhand von Empirie aufgezeigt, warum eine Berücksichtigung stereotyper Geschlechterunterscheidungen und eine Selbstreflexion Behandelnder (als Ausbildungsbestandteil) sinnvoll wäre. Für eine stärkere Sensibilisierung für Geschlechterdimensionen als fester Bestandteil der psychotherapeutischen Ausbildung wurden ausblickend Vorschläge gemacht.
Bei der Diskussion von Abschlussprojekten wird im Kolloquium jeweils auch für die weiteren Fächer der anderen Teilnehmenden überlegt, ob und wo die Ideen jeweils im eigenen Studium relevant werden könnten. Dies zeigt, dass mit dem Zertifikat nicht nur Kenntnisse der Gender Studies erworben, sondern auch Fähigkeiten zu einem interdisziplinären Austausch geübt werden.
Positive Resonanz auf das Gender-Zertifikat
In der Evaluation des Kolloquiums wurde die Gruppenatmosphäre gelobt, in der häufig „tolle Diskussionen und AHA-Erlebnisse“ stattfanden. Die Themenvielfalt hat dabei für interdisziplinäre Einblicke gesorgt. Neue Theorien und Impulse für das eigene Fachgebiet wurden mitgenommen – „super“ war die Motivation zur Vertiefung eigener Forschungsfragen. Als sehr gut wurde die Möglichkeit gelobt, im Kolloquium Kontakte zu „neue(n) Menschis, die sich für das Thema interessieren“ knüpfen zu können. Kritisiert wurde, dass es nicht immer ganz klar war, was denn die Transferleistung von der Reflexion unterscheide – da beide viele Impulse für das eigene weitere Handeln gegeben haben. In Reaktion auf dieses Feedback wurden die Schwerpunkte der beiden Abschlussvarianten im Beitrag Abschlussarbeiten im Gender-Zertifikat anhand verschiedener Beispiele ebenso wie hier illustriert.
Zwischen den Semestern
Die vorlesungsfreie Zeit wird für Sprechstunden und Recherchen, Ausarbeitungen und Präsentations-Vorbereitungen genutzt. Neue Interessierte für das Gender-Zertifikat können sich gern beraten lassen und auch die Anerkennung von Lehrveranstaltungen für das Zertifikat ist schon vor dem Wintersemesterbeginn möglich. Eine Liste mit exemplarischen Lehrveranstaltungen wird auf der Projekthomepage in jedem Semester aktualisiert. Weitere Informationen und Sprechstundentermine erhalten Sie unter: zertifikat-gender-studies@tu-braunschweig.de
Die Anmeldung für das Kolloquium im kommenden Wintersemester 2024/25 läuft bis zum 16.10.2024 über: zertifikat-gender-studies@tu-braunschweig.de
Kolloquium-Beginn
MONTAG, 21.10.2024 ab 16:45-18:15 Uhr