Abschied Corinna Bath

Ein Blick auf neun Jahre „Gender, Technik und Mobilität“

Bild Perspektivwechsel
Foto: André Wunstorf

Ende Februar 2022 läuft die erfolgreiche Professur „Gender, Technik und Mobilität“ der Technischen Universität Braunschweig und der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften aus. Dr.-Ing. Corinna Bath hat sie seit 2012 engagiert ausgestaltete. Wir blicken mit ihr auf neun Jahre erfolgreiche Arbeit zurück, die die Gender Studies im Braunschweiger Raum maßgeblich geprägt haben.

Die empirischen Forschungsergebnisse über die historische wie aktuelle Situation von Frauen* und von Geschlechterforschung in technischen Bereichen sowie die theoretisch-interdisziplinären Arbeiten von Corinna Bath sind national wie international viel beachtet.

Wie fing es an und was ist in den neun Jahren alles passiert?

Einmalig: Gender-Professur im Maschinenbau

Das Ministerium für Wissenschaft und Kultur hat im Rahmen des Maria-Goeppert-Mayer-Programms die Bedingungen geschaffen, damit eine Gender-Professur in den Ingenieurwissenschaften in Braunschweig denkbar war. Der gemeinsame Antrag von Prof. Dr. Bettina Wahrig (TU) und Juliette Wedl (Braunschweiger Zentrum für Gender Studies) war dank der Unterstützung durch die damaligen Präsidenten Prof. Hesselbach (TU) und Prof. Umbach (Ostfalia) sowie der TU-Fakultät Maschinenbau erfolgreich. Das Programm sah eine vierjährige Mit-Finanzierung vor; die geforderte Verstetigung wurde seitens der Hochschulen in Aussicht gestellt. Den bisherigen meist einsemestrigen MGM-Gastprofessuren (2004-2011) folgte so mit Corinna Bath eine Gender-Professur, die gekommen war, um zu bleiben. Doch es kam anders. Nach Ablauf des MGM-Programms wurde die Professur 2017 erneut befristet verlängert bis Februar 2022.

Das Besondere: Disziplinübergreifender Brückenschlag  

Die Forschung in den MINT-Disziplinen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) wird angesichts ihrer gesellschaftsrelevanten Fragestellungen international zunehmend um geistes- und sozialwissenschaftlichen Perspektiven erweitert. Hier können die Gender Studies aufgrund der ihnen inhärenten Inter- und Transdisziplinarität und ihren Erfahrungen als Reflexionswissenschaften als ein Katalysator dienen. Welches innovative Potenzial die Verbindung der MINT-Disziplinen mit den Gender Studies hat, zeigen die Arbeiten von Corinna Bath und ihrer Arbeitsgruppe „Gender, Technik und Mobilität“.

Präzisierung der Geschlechterforschung in den Ingenieurwissenschaften

Geschlechterforschung in den Ingenieurwissenschaften trägt dazu bei, Erkenntnisse der Geschlechterforschung einzusetzen, um Technik an menschliche Bedürfnisse, gesellschaftliche Herausforderungen und materiell-diskursive Realitäten anzupassen. Es gilt, dafür geeignete Methoden zu entwickeln. Einen ersten einführenden Überblick, wie sich Geschlecht in Gesellschaft, Technik und Wirtschaft einschreibt sind in der Broschüre „Gender, Technik und Mobilität“ (2015) skizziert. Sie verweist auf normierte Vorstellungen über die Zielgruppe oder Stereotype, die die Vielfalt der Nutzer*innen und Lebensweisen vernachlässigen.

Wissenschaftlich ausdifferenziert wurde dieser Ansatz im Forschungsprojekt „Geschlechterwissen in und zwischen den Disziplinen. Hier wurde die Verankerung und Institutionalisierung von Geschlechterwissen im interdisziplinären Vergleich in Deutschland wissenschaftshistorisch untersucht. Das Braunschweiger Teilprojekt ging dieser Frage anahnd der Disziplin Informatik und der feministischen Naturwissenschaftsforschung nach. Die Projektergebnisse sind 2020 bei transcript erschienen. Im Verbundprojekt „Materialität von Geschlecht und pädagogischer Autorität wurde darüber hinaus eine ethnografische Studie zur Lehre und Fachkultur im Maschinenbau durchgeführt. Die Veröffentlichung folgt bei Barbara Budrich im Sommer 2022.

Partizipative Forschung als Methode für den Brückenschlag

Wie Technik und Wissen partizipativ mit den Nutzer*innen, vor allem aber verantwortlich für eine sozial gerechtere und nachhaltigere Welt entwickelt werden kann, zeigte Corinna Bath z.B. gemeinsam mit dem Grazer Forschungsprojekt „HumanEVoice (zur Veröffentlichung). Das Junior Research Project „Human demands of sustainable aviation (10/2019–4/2021) innerhalb des DFG-Exzellenzclusters „Sustainable Energy-Efficient Aviation“ lenkte die Aufmerksamkeit auf die Vielfalt von Flughafenanwohner*innen und Passagieren. Bearbeitet wurde diese Frage mit einem partizipativen Ansatz von Dr. Sandra Buchmüller, Postdoktorandin in der Arbeitsgruppe „Geschlecht, Technik und Mobilität“. Auch im laufenden Forschungsprojekt zur verANTWORTlichen Objektivitätskultur steht – neben der Diskursanalyse der Medienberichterstattung über die gegenwärtige Pandemie – die Entwicklung partizipativer Elemente zur Wissenschaftskommunikation im Mittelpunkt.

Diese praxisorientierten Projekte komplementiert Corinna Bath in ihren Veröffentlichungen. Dabei entwickelt sie theoretische Ansätze zur Epistemologie und Methodologie sowie feministische Ansätze zur Objektivität und wissenschaftlichen Verantwortung (zur Publikationsliste).

Umsetzung des disziplinübergreifenden Austausches

Für den wissenschaftlichen Austausch über die Disziplingrenzen hinweg steht insbesondere das Niedersächsische Promotionsprogramm „Konfiguration von Mensch, Maschine und Geschlecht. Interdisziplinäre Analysen zur Technikentwicklung (KoMMa.G) (2016-2021). Dieses umfasste 15 Stipendien an neun Instituten der drei Hochschulen im Braunschweiger Raum. Das Promotionsprogramm war dabei ein Lernfeld auf dem Weg zur gelebten großen Interdisziplinarität. Die bereits oder in naher Zukunft abgeschlossen Promotionen zeigen das Potential solcher fachkulturübergreifenden Zusammenarbeit. Diese kann in Zukunft weiter ausgebaut werden sofern eine Professur an der Schnittstelle von MINT-Disziplinen und Geschlechterforschung existiert.

Kooperative Gestaltung interdisziplinärer Lehre

Die große Interdisziplinarität wurde auch in Lehrforschungsprojekten umgesetzt. GenderING entwickelte am Beispiel der Lehrveranstaltung „Einführung in die Karosserieentwicklung“ ein auf andere Felder übertragbares Modell für die Integration von Gender- und Diversity-Aspekten in die ingenieurwissenschaftliche Lehre (zur Handreichung). Transferiert wurde dieses Modell in anschließenden Projekten auf das automatisierte Fahren (zur Veröffentlichung) und die grundständige Lehre der Biowissenschaften (zur Veröffentlichung). Dabei wurden bereits bestehende Lehrveranstaltungen in einem gemeinsamen Austausch der Lehrenden aus den Ingenieur- bzw. Naturwissenschaften und den Gender Studies modifiziert. Hierfür wurden zunächst Themen identifiziert, in denen intersektionale Gender Studies relevant sind, um anschließend die entsprechenden Lehrinhalte durch die Perspektiven der Science and Technology Studies und der Gender Studies zu ergänzen. Weitere Vorschläge zur interdisziplinären Gender-Lehre in den ingenieurwissenschaftlichen Fächern sind 2017 im LIT Verlag publiziert.

Auch das reguläre Lehrangebot der Arbeitsgruppe war interdisziplinär, sowohl in Bezug auf die Inhalte als auch hinsichtlich der Zusammensetzung der Teilnehmer*innen, womit ein besonderer Lehr-Lern-Raum entstand.

Nationale und internationale Kooperationen in den Gender and TechnoScience bereichert

Neben dem guten Kontakt an die TU Graz, an der Corinna Bath 2016 eine Gastprofessur inne hatte, pflegte sie insbesondere mit Kolleg*innen in Schweden, Israel, den USA und Indien eine enge Zusammenarbeit an der Schnittstelle zwischen Geschlechterforschung, Science and Technology Studies auf der einen und Technikgestaltung auf der anderen Seite. Sie engagierte sich im europäischen Netzwerk COST zu New Materialism. Weiterhin ist sie Mitglied in verschiedenen nationalen und überregionalen Fachgesellschaften, bspw. als Ko-Leiterin der AG DIG*IT*AL in der Fachgesellschaft Gender Studies und als Gutachterin für Journals, Projekte und Forschungsprogramme. Besonders hervorzuheben ist die langjährige Kooperation mit Prof. Sugandh Malhotra vom Indian Institute of Technology (IIT) Bombay. Diese mündete im Wintersemester 2020/21 in eine interkulturelle, inter- und transdisziplinäre Lehrveranstaltung, in der die Studierenden globale Kompetenzen anhand von Projektarbeit in kleinen interkulturellen Teams entwickeln konnten. So erprobten sie problemorientiertes, forschendes Lernen. Die Erfahrungen wurden in einem Journal, einem Konferenzpaper und im TU Magazin veröffentlicht.

Ein Überblick über die gesamten Forschungsarbeiten der Arbeitsgruppe „Gender, Technik und Mobilität“ findet sich hier.

Am Ende: Was bleibt

Diese Professur wurde nicht verlängert. Damit endet im Februar 2022 eine in Deutschland einmalige Gender-Professur mit Verankerung im Maschinenbau. Wir bedauern sehr, dass wir die Verstetigung der Professur nicht erreichen konnten. Für die Gender Studies im Braunschweiger Raum ist das ein großer Verlust. An der TU Braunschweig gibt es damit aktuell keine Professur mit Genderdenomination mehr.

Die Arbeit von Corinna Bath wird weiter sichtbar und erreichbar sein: Die Website der Arbeitsgruppe „Gender, Technik und Mobilität“ zieht um und bleibt über die Seite des Braunschweiger Netzwerks für Gender und Diversity Studies erhalten.

Und was uns als Braunschweiger Netzwerk für Gender und Diversity Studies zu tun bleibt, ist Corinna Bath für ihre Arbeit mit diesem Beitrag zu ehren und alles Gute für die berufliche Zukunft zu wünschen – und an weiteren Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu arbeiten.

Zur Person

Dr.-Ing. Corinna Bath
c.bath@tu-braunschweig.de

Homepage

Arbeitsschwerpunkte:
Geschlechterforschung in Maschinenbau und Informatik
Wissenschafts- und Technikforschung (Feminist Science and Technology Studies))
Design Justice/ Diffractive Design
Feministische Theorie und Epistemologie
Inter- und Transdisziplinarität

Die Professur von Corinna Bath wurde gemeinsam vom Braunschweiger Zentrum für Gender Studies und Prof. Dr. Bettina Wahrig im Maria-Goeppert-Mayer-Programm des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur eingeworben. Seit ihrem Ruf ist Corinna Bath Mitglied des Braunschweiger Zentrums für Gender Studies bzw. des Braunschweiger Netzwerks für Gender und Diversity Studies und hat eng mit der Geschäftsstelle bzw. Koordinierungsstelle zusammengearbeitet.