IH2E: Instrument Relevanzprüfung

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Europäische Union (EU), die Exzellenzinitiative und andere Einrichtungen zur Forschungsförderungen verlangen von den Antragstellenden, Geschlechterdimensionen zu berücksichtigen, wenn sie relevant sind. Insofern ist die Anfordderung zu untersuchen, ob und wie Geschlecht und andere Vielfältigkeitsdimensionen in der Forschung relevant sind, und zu beschreiben, wie dieses im Projektkonzept berücksichtigt wird. Doch was bedeutet die Prüfung der Relevanz von Geschlechterdimensionen? Im Rahmen des BMBF-Projektes „Geschlechterdimensionen in MINT-Forschung“ (IH2E) wird dieses hier erläutert sowie auf hilfreiches Material zur Umsetzung verwiesen.

Inhalt

Was ist eine Relevanzprüfung in Bezug auf Geschlechterdimensionen? >>
Warum ist die Gender-Relevanzprüfung für die TU Braunschweig wichtig? >>
Wann und wie kann eine Gender-Relevanzprüfung erfolgen? 
     – Einwerben von Mitteln >>
     – Festlegung der Forschungsschwerpunkte und Projektziele >>
     – Entwicklung geeigneter Methoden >>
     – Laufender Forschungsprozess >>
     – Dokumentation und Verbreitung >>
Wer bietet genderbezogene Beratung an der TU Braunschweig an? >>
Welche Unterstütztung bietet das Projekt IH2E für Forschende? >>

Was ist eine Relevanzprüfung in Bezug auf Geschlechterdimensionen?


European Commission (2016): „The gender dimension in research“ [8 Min., engl.]. Das Video gibt einen ersten allgemeinen Einstieg in das Themenfeld und beleuchtet die Notwendigkeit für die Berücksichtigung verschiedener Geschlechterdimensionen – hier mit Bezug zur EU-Förderung. Die Ansprüche diesbezüglich sind mit denen der DFG vergleichbar.

Die Gender-Relevanzprüfung ist eine systematische Prüfung der Fragen, ob und wie Geschlecht inhaltlich und methodisch in Forschungsprojekten bedeutsam ist. Sie unterscheidet sich von der gleichstellungsorientierten Frage, wer forscht; zum Unterschied siehe hier >>.
Die inhaltlich-methodische Relevanz von Geschlecht ist je nach Forschungskontext und -thema unterschiedlich, sodass die Geschlechterdimensionen, d.h. die Berücksichtigung von Geschlecht, jeweils spezifisch zu bestimmen sind. Ziel ist, die Arbeit von Wissenschaft und Forschung „auf die Bedarfe aller ­Menschen auszurichten und in den Blick zu nehmen, dass die Ergebnisse unterschiedliche Konsequenzen für die verschiedenen Geschlechter haben können“ (BMBF-Ausschreibung Geschlechteraspekte im Blick).

Die auf dieser Seite vorgestellten Checklisten und Materialien sowie Beratungsangebote unterstützen bei der Relevanzprüfung. Das BMBF-Projekt IH2E zielt darauf, die strukturelle Unterstützung an der TU Braunschweig diesbezüglich nachhaltig auszubauen. >>

3D-Betondruck: Ein Beispiel aus der TU Braunschweig

In den MINT-Disziplinen haben viele Forschungsvorhaben keinen unmittelbaren Bezug zu Menschen oder Tieren wie z.B. bei der Entwicklung neuer Rezepturen für Beton. In diesen Fällen spielen Geschlecht oder andere Dimensionen der Vielfältigkeit wie soziale Herkunft und Alter keine Rolle und es bedarf keiner weitergehenden Relevanzprüfung. Doch sobald Menschen oder Tiere als Forschungsgegenstand bzw. Forschungsziel involviert sind oder es potentielle Anwender*innen der Forschungsergebnisse gibt, ist die Gender-Relevanzprüfung sinnvoll. Geht es z.B. um die Mensch-Maschine-Interaktion im Fall eines Beton-3D-Druckers und die Anwendung der Fertigungstechnik in der Bauwirtschaft, sind Geschlechterdimensionen in der Forschung zu berücksichtigen. Viele Fallbeispiele aus der MINT-Forschung zeigen, dass dieses häufiger der Fall ist als gemeinhin vermutet.
Die folgende Grafik illustriert das Ergebnis des Consulting-Gesprächs im Sonderforschungsbereich (SFB) Transregio 277 „Additive Fertigung im Bauwesen“; zum interaktiven pdf geht es hier.

 

Drei Beispiele, in denen die Vernachlässigung der Geschlechterdimensionen gravierende Folgen hatte

Crashtest-Dummies müssen alle berücksichtigen

Die Airbag-Systeme waren für Schwangere und den Fötus lange Zeit gefährdend. Crashtest Dummies berücksichtigten zunächst ausschließlich männliche, später dann auch weibliche und kindliche Normkörper; die besonders schutzbedürftigen Schwangeren wurden jedoch erst ab 1996 bei der Entwicklung von Airbags berücksichtigt. Die Vernachlässigung der Vielfalt der Anwender*innen bzw. Nutzenden kann somit Sicherheitsrisiken bergen. Mittlerweile kommen sie in unterschiedlichen Körpergrößen und -formen zum Einsatz, um (Un)Sicherheit im Falle eines Unfalls für unterschiedliche Körper zu simulieren. (vgl. Gendered Innovations – Inclusive Crash Test Dummies

Acetylsalicylsäure beugt nicht bei allen gegen Schlaganfall und Herzinfakt vor

Aspirin galt als wirksames Mittel zur Vorbeugung von Herzinfakten und Schlaganfällen für alle Bevölkerungsgruppen – untersucht wurden jedoch lange Zeit nur Männer in der Annahme, dass alle menschlichen Körper gleich funktionieren. Durch diese falsche Verallgemeinerung waren weder die Symptome bei Frauen ausreichend bekannt noch eine entsprechende Medikation ebenbürdig erforscht. Heute ist bekannt, dass Geschlechterunterschiede bei den Symptomen und der Medikation berücksichtigt werden müssen (vgl. Regitz-Zagrosek 2014, S. 1070).

Produkte müssen vom Markt genommen werden

Die Ausblendung der menschlichen Vielfalt hat u.a. zur Folge, dass zwischen 1997 und 2000 zehn pharmazeutische Wirkstoffe aus dem Verkehr genommen wurden, darunter acht wegen größerer Risiken für Frauen. Londa Schiebinger nennt Kosten für die Entwicklung eines Wirkstoff von bis zu 5 Milliarden Dollar (vgl. Londa Schiebinger). Damit werden Forschungsgelder verschwendet. Ähnliche Effekte können entstehen, wenn stereotype Annahmen, z.B. über Frauen und Männer in Bezug auf die Anforderungen an eine Technologie in die Produktentwicklung fließen.

Warum ist die Gender-Relevanzprüfung für die TU Braunschweig wichtig?

International ist die Prüfung der Relevanz von Geschlechterdimensionen bei Forschungsvorhaben zunehmend Standard und deren Nicht-Berücksichtigung kann zur Nicht-Förderung führen. Drittmitteleinrichtungen wie die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) und Förderprogramme wie Horizont Europa fordern insofern eine solche Relevanzprüfung, weil sie zur Vermeidung blinder Flecken und damit zur Erhöhung der Qualität wissenschaftlicher Ergebnisse führen kann.

„Daher sollte die Reflexion von Geschlecht und Vielfältigkeit Bestandteil der Vorbereitung eines jeden Forschungsprojekts sein und – wo relevant – im Antrag behandelt werden.“ (DFG: Vielfältigkeitsdimensionen)
„[D]ie Integration der geschlechtsspezifischen Dimension wird standardmäßig in den Forschungs- und Innovationsinhalten des gesamten Programms vorgeschrieben, es sei denn, ihre Nichtrelevanz wird ordnungsgemäß begründet. Diese Integration ist besonders relevant für globale Herausforderungen […], bei denen Geschlecht und/oder Geschlechtsunterschiede eine wichtige Rolle spielen und somit die gesellschaftliche Relevanz und Qualität von Forschungs- und Innovationsergebnissen bestimmen.“ (EU: Genderaspekte in Horizont Europa)

Geschlechterdimensionen nicht zu berücksichtigen kann gravierende Folgen haben wie die obigen Beispiele >> zeigen. Sie führt zunehmend zur Nichtbewilligung von Anträgen. Um solche Forschungslücken an der TU Braunschweig zu vermeiden sowie weiterhin drittmittelstark und international anschlussfähig zu bleiben, gilt es, Forschung an den Bedarfen aller Menschen auszurichten und die Relevanz vielfältiger Lebensweisen und Geschlechter zu prüfen. 

Wann und wie kann eine Gender-Relevanzprüfung erfolgen?

Wann ist eine Relevanzprüfung angebracht? Wiederholt im Verlauf des Forschungsprozesses. Neben dem zentralen Moment der Projektplanung ist es wichtig, zu verschiedenen Zeitpunkten die Relevanz erneut in Betracht zu ziehen. Das Stanford-Projekt Gendered Innovations identifiziert neun relevante Forschungsphasen – wir haben fünf aufgegriffen.

Die genannten Hilfsmittel und Materialien zur Relevanzprüfung finden sich hier ausführlicher beschrieben >>.

Einwerben von Mitteln

Die Berücksichtigung von Geschlechterdimensionen ist kein wünschenswertes Add-on mehr sondern gilt als Teil guter wissenschaftlicher Praxis. Dies zeigen Initiativen und Stellungnahmen zur Förderung der Geschlechterforschung verschiedener Drittmittelgeber*innen (v.a. Europäische Union, Deutsche Forschungsgemeinschaft). Es ist damit unbedingt notwendig, sich vorab über Standards der potentiellen Förderinstitutionen zu informieren; der Forschungsservice der TU Braunschweig berät diesbezüglich.

Checklisten und fachspezifische Informationen sind hilfreiche Instrumente für die Konzeption und Antragstellung von Projekten; sie liegen von verschiedener Seite vor u.a. der DFG und Gendered Innovations. 

Der Forschungsservice >> unterstützt mit Informationen über Fördermöglichkeiten aber auch bei der Antragsstellung und der Suche passender Kooperations- und Ansprechpartner*innen. 

Festlegung der Forschungsschwerpunkte und Projektziele

Um Anregungen für die eigene Forschung zu bekommen, eigenen sich insbesondere

  • das Reflexionsinstrument GERD >>
  • Fallbeispiele aus anderen Forschungsprojekten >>
  • Erkenntnisse der Gender Studies, z.B. in MINT-Disziplinen >>
  • Expertise durch einen Austausch mit Gender-Expert*innen >>

Bei nutzer*innenorientierter Produkt- und Technikentwicklung ist eine dies fokussierende Prüfung >> sinnvoll.

Reflexionsinstrument GERD

Das GERD-Modell (Gender Extended Research and Development) regt anhand eines umfangreichen Fragekatalogs und Tools dazu an, die gesellschaftliche Einbettung der eigenen Forschung differenziert zu reflektieren und bietet Wissen und Richtlinien für Teams. Anhand systematischer Ansatzpunkte im Forschungsprozess (Impulse, Vorhabensdefinition, Analyse, Modell-/Konzeptbildung, Realisierung, Evaluation, Verbreitung) können so Gender- und Diversity-Aspekte in Ingenieurwissenschaften, Technologieforschung und -entwicklung reflektiert und einbezogen werden. Das ursprüngliche Modell wurde für die Informatik in Verbindung mit Gender Studies Ansätzen entwickelt.

Fallbeispiele


GE Academy (2020): „Learn what is the gender dimension in research“. Das Video gibt Einblicke in die Zusammenstellung von Fallbeispielen aus unterschiedlichen Forschungsbereichen durch die Geschlechterforschung in Kilden (Norwegen).

Für verschiedene MINT-Disziplinen geben die Plattform Gendered Innovations (University Stanford) und die Broschüre „What is the genderdimension in research?“ (Kilden, norwegisches Zentrum für Geschlechterforschung) sowie für die Ingenieurwissenschaften und Lebenswissenschaften die DFG Einblick in konkrete Forschung. Die Encyclopedie This is gendered gibt Einblick in vergeschlechtlichte Gegenstände und ihre Problematiken, so auch in Technologien wie die Künstlichen Intelligenz, Kopfhörer und Gesichtserkennung. Dies hilft, für das eigene Feld bereits identifizierte Geschlechterdimensionen kennenzulernen sowie ggf. geeignete Methoden zur Erforschung dieser zu finden. Ein Blick in benachbarte Forschungsfelder kann ebenfalls Ideen für das eigene Projekt anstoßen. Mehr Materialien finden sich hier.

Erkenntnisse der Gender Studies

Auf der Plattform Gendering MINT digital (HU Berlin) wird in Open Educational Resources (OER) ein Einblick in den Forschungs- und Lehrbereich Gender & MINT gegeben. In den OERs sind jeweils weiterführende Literaturhinweise enthalten. Folgende Themenblöcke finden sich auf der Plattform:

Die Inhalte auf Englisch finden Sie hier.

Eine Literaturliste zu Gender & MINT findet sich zudem hier.

Expertise

Expert*innen aus den Gender Studies sowie den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften hinzuzuholen ist eine weitere Möglichkeit, um im gemeinsamen Austausch potentielle Geschlechterdimensionen zu identifizieren. Hieraus kann zudem eine (partielle) fächerübergreifende und transdisziplinäre Forschung entstehen. Das Braunschweiger Zentrum für Gender Studies unterstützt Sie bei der Suche nach passenden Gender-Expert*innen.

Entwicklung geeigneter Methoden


GE Academy (2021): „Methods on how to include gender dimension in research“. Das Video gibt einen ersten Einblick in praktische Möglichkeiten und Methoden, wie die Geschlechterperspektive in der Forschung berücksichtigt werden kann.

In Bezug auf Methoden sind hier folgende Apsekte berücksichtigt:

  • Allgemeinere Hinweise für den ersten Einstieg >>
  • Nutzer*innen- und anwendungsorientierte Produkt-, Technik- und Wirkstoffentwicklung >>
  • Reflexion möglicher Einflüsse der forschenden Personen auf die Forschung >>

Allgemeinere Hinweise für den ersten Einstieg

Ein Fragekatalog zur Methodenplanung findet sich im oben beschriebenen GERD-Modell unter Vorhabenbeschreibung >>.

Fallbeispiele >> können neben inhaltlichen Anknüpfungspunkten auch methodische Anregungen geben.

Allgemeine und spezifische Methoden werden auf der Plattform Gendered Innovations (University Stanford) weiterführend behandelt. Bei den allgemeinen Hinweisen zur Einbindung von Geschlechterdimensionen in die methodischen Ansätze handelt es sich um Denkanstöße für verschiedene Stadien des Forschungsprozesses insbesondere der Planung von Projekten. Hierbei sind unter Schlagworten der Geschlechterforschung und konzeptuellen Ansätzen Fragen und Checklisten hinterlegt, die bereits bestehende methodische Ansätze beschreiben bzw. dazu genutzt werden können, um die Geschlechterdimensionen in eigenen Forschungsansätzen zu erkennen und diese gezielt zu adressieren (z.B. durch eine vielfältige Auswahl von menschlichen wie tierischen Individuen für eine Datenerhebung). Analog finden sich hier spezifische Methoden nach Forschungsbereichen geclustert, u.a. für Machine Learning, Gewebe- und Zellforschung oder Social Robotics.

Nutzer*innen- und anwendungsorientierte Produkt-, Technik- und Wirkstoffentwicklung

In MINT-Forschung eignet sich die Einbindung von zukünftigen Nutzer*innen- und Anwendungsgruppen in den Forschungsprozess. Ziel dessen ist, passgenaue Produkte zu entwickeln und die Akzeptanz bzw. Wirkung zu erhöhen. Etablierte Ansätze sind:

  • Blick auf Nutzer*innen- und Anwendungsgruppen >>
  • Participatory Design >>
  • Wirkstoffforschung mit/an Menschen >>
  • Wirkstoffforschung mit/an Tieren >>
Blick auf Nutzer*innen- und Anwendungsgruppen

In der ingenieurwissenschaftlichen Entwicklung von Maschinen tritt der Mensch meist erst mit dem Designprozess des fertigen Produkts in das Interesse der Forschenden. An der Mensch-Maschine-Schnittstelle wird der Faktor Mensch bspw. mit Blick auf relevante Aspekte wie Kognition, Kondition und Sicherheit relevant. Hierfür sollte ein weites Spektrum an möglichen Nutzenden zugrunde gelegt werden (z.B. durch Nutzung vielfältiger Personas beim Modellieren). Dies erlaubt, verschiedenen Fähigkeiten sowie unterschiedlichen Ansprüchen an Bedienbarkeit und Sicherheit Rechnung zu tragen. Das damit verbundene Human Factors Engineering enthält sicherlich noch viele Genderdimensionen, die in künftigen Ansätzen erforscht werden können.

Einige Beispiele:
Dass sicherheitsrelevante Aspekte eine überlebenswichtige Geschlechterdimension haben können, zeigt das Beispiel der Crashtest Dummies (Fallbeispiel Crashtest Dummies).
Automatische Spracherkennung gewinnt im Alltag zunehmend an Bedeutung, doch sind nach wie vor signifikante Unterschiede in Bezug auf Geschlecht sowie etnischer, nationaler, kultureller und sicherlich auch sozialer Herkunft festzustellen. So liegt die Quote der erfolgreichen Spracherkennung in einer Studie im englischsprachigen Raum bei einem weißen Mann bei 92% und bei einer weißen Frau bei 79%. Neben diesem Gender Bias werden auch Personen mit Migrationshintergrund und regionalem Dialekt deutlich schlechter erkannt. Die unterschiedliche Qualität ist in der dahinterliegenden Künstlichen Intelligenz und den ihr zugrundeliegenden Daten begründet. Sie müssten diverser aufgestellt werden, um eine größere Vielfalt an Sprecher*innen zu berücksichtigen. Gute KI beginnt also nicht erst bei den Algorithmen, sondern bei den Daten, auf die sie zum Lernen zurückgreifen kann. (Fallbeispiel Spracherkennung)
Ein weiteres Beispiel kommt aus der Raumfahrt: 2019 konnte der geplante erste Weltraumspaziergang von zwei Frauen nicht stattfinden, weil für die eine Astronautin kein passender Raumanzug existierte. In Folge dieses Vorfalls, wird das Raumanzugdesign überarbeitet und neben der Größenanpassung auch Körpertemperaturen und Schwitzmuster verschiedener Geschlechter berücksichtigt. (Fallbeispiel Spacesuit)

Literatur zum Thema findet sich hier.

Participatory Design

Dieser Ansatz bietet eine Alternative zu Entwicklungsprozessen, in denen unbeabsichigt mit Stereotypen von zukünftigen Nutzenden der jeweiligen Produkte gearbeitet wird, die den heterogenen Anforderungen und Lebensrealitäten dieser Zielgruppe nicht entsprechen. Im Austausch mit Nicht-Forschenden – insbesondere bei Anwendungen die späteren Zielgruppen – werden deren Sichtweisen, Bedürfnisse und Ansprüche von Anfang an mit in den Blick genommen. Auch für die Sicherheit späterer Produkte, z.B. beim Autobau, muss die Konstruktion einer ganzen Bandbreite von diversen Nutzer*innen Rechnung tragen. Das Konzept ist etabliert in den Computer Sciences. Eine Auswahl unterschiedlicher Ansätze und Publikationen aus verschiedenen Informatikgebieten findet sich hier. Auch für interdisziplinäre Ansätze unter Beteiligung der Computer Sciences wie bspw. Designaspekten einer Smart City finden sich Publikationen wie diese

Mit dem GERD-Modell >> findet sich hier ein umfangreiches Reflexionsinstrument im Sinne des Participatory Design, das die verschiedenen Forschungsphasen  berücksichtigt.

Literatur zum Thema findet sich hier.

Wirkstoffforschung mit/an Menschen

Die Zusammensetzung von Proband*innen bzw. Proben sollte ebenfalls die Diversität der späteren Anwender*innen berücksichtigen und möglichst einen Querschnitt der Bevölkerung unter Berücksichtigung möglichst vieler Differenzen einbeziehen. Zusätzlich zum Geschlecht sind weitere biologische und soziale Faktoren zu berücksichtigen wie etwa das Alter oder der soziale und berufliche Status. Diese Differenzen können Auswirkungen auf den Nutzen und die Wirkung haben. Erhellend sind die Fallbeispiele von Gendered Innovations. Gerade in der Pharmazie und Medizin ist dies mit Blick auf die Wirkung von Medikamenten relevant, um nicht nach teurer Entwicklung an der Zulassung zu scheitern oder nachträglich vom Markt genommen zu werden – Londa Schiebinger von Gendered Innovation weist hierauf immer wieder hin.

Menschen verschiedener Geschlechter haben unterschiedliche Bedürfnisse in der Versorgung mit Arzneimitteln und Wirkstoffen. Das beginnt damit, dass die Geschlechter von verschiedenen Krankheiten in unterschiedlichem Maß betroffen sind, setzt sich in den bis heute nur unzureichend verstandenen Differenzen in der Wirkung von Medikamenten fort und muss im Zusammenhang mit dem eigenen Verhalten zu Befindlichkeitsstörungen und Krankheiten sowie in der Fremdwahrnehmung durch das medizinische Personal gesehen werden. Die Besonderheiten verursachen auch immer wieder Forschungslücken, so dass z.B. die Bevölkerungsgruppe, die von einer Krankheit weniger betroffen ist, in ihrer spezifischen Reaktion auf die Krankheit, auf Therapien und in ihren Beürfnissen zu wenig beachtet wird.

Ein paar Beispiele:
Frauen konsumieren mehr Schmerzmittel als Männer, was dazu führt, dass ihnen eine vergleichsweise größere Schmerzempfindlichkeit unterstellt wird. Die Untersuchungen sind aber nicht so eindeutig wie es in der Öffentlichkeit häufig dargestellt wird; mehr dazu im Fallbeispiel chronic pain.
Ein Drittel der Osteoporose-Fälle tritt bei Männern auf, dennoch liegt der Fokus vor allem auf der Gefährdung von Frauen durch Osteoporose (zum Fallbeispiel Osteoporose).
Der „klassische“ Fall ist die Symptomatik beim Herzinfarkt, die sich bei Frauen deutlich von derjenigen bei Männern unterscheidet. Aufgrund der Überzeugung, dass Frauen durch ihre Sexualhormone bis zur Menopause vor den Folgen von Gefäßerkrankungen besser geschützt sind als Männer, wurde dies lange nicht erkannt und die Schwere der Erkrankung häufig nicht richtig eingeschätzt, so dass Frauen mit einem Herzinfarkt im Vergleich zu Männern deutliche schlechtere Heilungs- und Überlebenschancen hatten. Die ausführliche Falldarstellung zu Herzerkrankungen von Gendered Innovations verweist auf die Notwendigkeit, mehr als zwei Geschlechter zu berücksichtigen; hier vor dem Hintergrund, dass trans* Personen häufiger zusätzliche Hormone nehmen.

Wirkstoffforschung mit/an Tieren

Bei den Vielfältigkeitsdimensionen in der DFG-Checkliste ist auch Tier-Forschung berücksichtigt. Das heißt, bei der Forschung
(1) an oder mit Tieren,
(2) an Materialien, die aus Tieren entnommen wurden,
(3) an auf Tiere bezogene Daten,
(4) zum Nutzen von Tieren
ist eine Geschlechterdimension zu prüfen und im Antrag erkennbar zu machen.

In der Vergangenheit wurden meist männliche Tiere zu Versuchszwecken genutzt. Zum Beispiel bei der Erforschung von Stress tauchen bei anderen Geschlechtern möglicherweise anderen Phänomene auf, die so nicht erfasst werden. Selbiges kann auch mit aus Tieren entnommenen Zellen zu berücksichtigen sein (z.B. in einer Zellkultur). Die Beschränkung auf ein Geschlecht mündet nicht nur in ein Modell mit limitierter Aussagekraft, sondern erschwert vermutlich auch den Blick auf Geschlechterdimensionen im Übertragen von Befunden aus tierischen Versuchen auf den Menschen.

Auch vor dem Hintergrund ökologischer Fragen wie der Erwärmung und Versäuerung der Ozeane ist ein differenzierter Blick auf Meeresorganismen unter Berücksichtigung von Geschlechterdimensionen wichtig. Bekannt ist bereits, dass die Widerstandsfähigkeit gegenüber Umweltstörungen bei Weibchen, Männchen und Hermaphroditen unterschiedlich ist, doch Geschlecht kaum eine Rolle in der Forschung spielt, wie das Beispiel der Geschlechteranalyse in der Meereswissenschaft zeigt. Wichtig ist schon die Datenerhebung so zu gestalten, dass diese Unterschiede erkennbar sind und auch bei Arten mit vielfältigen Geschlechtern diese ausgewiesen werden, sodass Populationen vollumfänglich erfasst werden.

Reflexion möglicher Einflüsse der forschenden Personen auf die Forschung

Forschung läuft Gefahr, dass sie von eigenen Präferenzen, (stereotypen) Vorstellungen und Maßstäbe unbewusst geprägt wird, indem die eigene Erfahrungswelt als allgemeingültig gesetzt wird. Insofern sind die eigenen Vorstellungen zu reflektieren. Zur Reflexion der eigenen Wissensproduktion regt das Lernvideo „Wissen ist ein Prozess“ des Projektes Gendering MINT digital unter Bezug auf Donna Haraway an.

Als I-Methodology werden Ansätze verstanden, die die Zusammensetzung der Forschenden selbst in den Blick nehmen. Ziel ist, einseitige Perspektivierungen zu reflektiert und dem Entstehen von unbeabsichtigten Biases (wie z.B. dem Gender-Bias) entgegenzuwirken. Kurz erklärt findet sch dieses in der Broschüre „Gender, Technik und Mobilität“ (2015). Auch Maschinen können einen Bias erlernen, wenn die hinterlegten Daten, aus denen sie ihre Entscheidungen ableiten, nicht breit aufgestellt sind und damit nicht-intendierte Ausschlüsse produzieren. Ein bekanntes Beispiel sind die Algorithmen, z.B. der Gender-Bias in Übersetzungsmaschinen. Außerdem können Ausschlüsse entstehen, die für Nutzende sicherheitsrelevant sind, wie The Guardian berichtete. Weitere Beispiele von Gender-Bias finden sich hier.

Literatur zum Thema findet sich hier.

Laufender Forschungsprozess

Nach dem Projektstart macht eine erneute Prüfung der Relevanz von Geschlechterdimensionen an folgenden Punkten im Forschungsprozess Sinn:

  • Feinjustierung und ggf. Nachsteuerung z.B. aufgrund von Erkenntnissen aus der Datenanalyse
  • Erreichen von Meilensteinen z.B. angesichts einer Reflektion über das Erreichte bzw. Nicht-Erreichte

Im GERD-Modell >> finden sich spezifischen Reflexionsinstrumente zur Realisierungsphase, in der die Vielfalt der ursprünglichen Ziele und Anforderungen auch bei der Arbeit mit nicht voll entwickelten Prototyen und bei technischen Umsetzungsschwierigkeiten im Auge behalten werden kann. Zur Evaluierung zu verschiedenen Zeiten im laufenden Forschungs- und Entwicklungsprozess werden ebenfalls Instrumehnte bereitgestellt mit dem Ziel zu prüfen, ob ein Projekt auf einem guten Weg ist und erfolgreich mögliche Gender-und Diversity-Aspekte einbezogen hat.

Für die Relevanzprüfung in dieser Phase eignen sich zudem die bereits genannten Instrumente Checklisten >> sowie Fallbeispiele, Erkenntnisse der Gender Studies und Expertise einholen >>.

Dokumentation und Verbreitung

Auch bei der Dokumentation und Verbreitung muss auf die Vielfalt der zukünftigen Nutzer*innen geachtet werden. Im GERD-Modell >> werden für diese spezifische Hinweise für diese Phase gegeben.

Wer bietet genderbezogene Beratung an der TU Braunschweig an?

Gender Consulting: Zu Fragen der inhaltlichen und methodischen Berücksichtigung von Geschlechterdimensionen in Forschungsprojekten, wie sie im Folgenden beschrieben werden, berät Juliette Wedl >> vom Braunschweiger Zentrum für Gender Studies: j.wedl@tu-braunschweig.de.

Equality & Diversity Consulting: Zur Integration von Gleichstellungs- und Diversitätsaspekten in Forschungsvorhaben >> berät Ulrike Wrobel, zentrale Gleichstellungsbeauftragte und Leiterin der Stabsstelle Chancengleichheit der TU Braunschweig: u.wrobel@tu-braunschweig.de.
Zu Ursachen, Wirksamkeit bestehender Maßnahmen und Handlungsempfehlungen in MINT-Dizsiplinen findet sich hier eine Expertise aus dem Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesrepublik (2021).

Forschungsservice: Ein Informations- und Beratungsangebot zu alle Fragen der nationalen, internationalen und europäischen Förderung bietet der Forschungsservice inklusive EU-Hochschulbüro; finden Sie die passende Ansprechperson für Ihr Anliegen >>.

Welche Unterstützung bietet das Projekt IH2E für Forschende?

Nehmen Sie gerne mit Juliette Wedl Kontakt auf und vereinbaren ein Gesprächstermin, wenn Sie eine Forschungsidee oder -projekt mit Bezug zu MINT-Disziplinen haben.

Wir bieten:

  • Beratung zur Gender-Relevanzprüfung (Gender Consulting) >>
  • Information zum BMBF-Projekt „Geschlechterdimensionen in MINT-Disziplinen“ (IH2E)
  • Gemeinsames Ausloten, inwiefern das IH2E-Projekt für Sie hilfreich sein kann
  • Entwicklung von Formaten der Zusammenarbeit mit Ihnen (Dialog-Formate >>)
  • Möglichkeiten zur Beteiligung an der Konzeptentwicklung >>
  • Beteiligung an der Ideenentwicklung zur Gender-Relevanzprüfung und zur Ausgestaltung des InovationHub >>

Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.

 

IH2E ist ein Projekt der TU Braunschweig. Es wurde in Kooperation mit dem Braunschweiger Zentrum für Gender Studies eingeworben.