Toxische Geschlechterideologien

Öffentliche Vorträge unseres interdisziplinären Ringseminars

Öffentliche Vorträge am
10.04., 24.04., 15.05., 05.06., 19.06. und 03.07.2024
von 16.45 bis 18.15 Uhr
im Raum SN 20.2 (Schleinitzstr. 20, TU Braunschweig)

Für alle Interessierten offen!

Der Begriff toxische Männlichkeit wird im Zusammenhang mit destruktiven männlichen Verhaltensweisen verwendet; kritisiert wird er, weil das Konzept vielfach individualistisch und ohne gesellschaftspolitische Schärfe bleibt. Für das Seminar wenden wir uns insofern toxischen Geschlechterideologien zu, wobei nicht nur Männlichkeiten in den Blick genommen werden sollen. Im Fokus des Seminars mit jeweils einem öffentlichen Vortrag und einer Seminarsitzung stehen ideologisch verfestigte Geschlechtervorstellungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen.

Nach einem geschichtlichen Streifzug, u.a. ins 16. und 17. Jahrhundert, wenden wir uns toxischen Geschlechterideologien v.a. in den Diskursfeldern der Politik, der Medien und der Religionen zu. Zudem schauen wir aus einer psychologischen Perspektive auf häusliche Gewalt. Anhand von Utopien werden zudem queer imaginierten Geschlechterordnungen diskutiert, die eine Alternative zu bestehenden, toxischen Verhältnissen sein wollen.

Übersicht

Eine Beschreibung der Inhalte findet sich weiter unten.

April 2024
Historischer Blick auf toxische Geschlechterideologien
Prof. Dr. Bettina Wahrig (Abteilung für Pharmazie- und Wissenschaftsgeschichte, TU Braunschweig)

24. April 2024
Digitale Gewalt, Hatespeech & Antifeminismus im Netz
Katharina Mosene (Leibniz-Institut für Medienforschung, Hans- Bredow-Institut)

15. Mai 2024
Häusliche Gewalt: Leben in toxischen Partnerschaften
Prof. Dr. Daniela Hosser (Institut für Psychologie, Lehrstuhl Entwicklungs-, Persönlichkeits- und Forensische Psychologie, TU Braunschweig)

5. Juni 2024
Geschlechterrollen im Salafismus: Angebote, Gefahren &
Potenziale gender-reflektierter Arbeitsansätze
Kim Lisa Becker (Internationales Zentrum für Radikalisierungsprävention und Demokratieförderung e.V.)

19. Juni 2024
Diskurskoalitionen des Antifeminismus
Andreas Kemper (Freischaffender Soziologe und Publizist, Münster)

3. Juli 2024
Queer als Angriff auf die Geschlechterordnung: Technikgeschlecht, Utopien und Materialismus
Jan Büssers (BZG)


   

Kurzbeschreibung der Vorträge

10.04.2024
Bettina Wahrig: Historischer Blick auf toxische Geschlechterideologien

Im 16. und 17. Jahrhundert kursierte eine akademische Schrift, zunächst auf Latein, dann auf Deutsch, die angeblich bewies, dass die Frauen keine Menschen seien. Dieser wurde zwar energisch widersprochen, aber auch die sog. „Frauenfreund“ wiederholten geschlechtsspezifische Stereotype und Klischees.
Misogynie (Frauenverachtung) zeigte sich auch in den Körperbildern, die von Frauen kursierten sowie in der Art und Weise wie Männer, die Frauen gegenüber Gewalt ausübten, und andererseits Frauen, die Gesetze übertraten, vor Gericht behandelt wurden.
Wo verlief in verschiedenen Zeitabschnitten die Grenze zwischen einer „Querelle“, d.h. einer intellektuell unterlegten, spielerischen Infragestellung/Bestätigung von Geschlechterideologien und jenen Ideologien, deren Subtext Unterwerfung war?
Wir beschäftigen uns ausschnittsweise mit Texten, in denen körperliche Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Körpern als Argumente für Machtausübung herangezogen wurden.

24.04.2024
Katharina Mosene: Digitale Gewalt, Hatespeech & Antifeminismus im Netz

Das Internet hat sich zu einem mächtigen Instrument entwickelt, das Menschen näher zusammenbringen kann. Gleichzeitig ist insbesondere mit den sozialen Medien jedoch auch eine Angriffsfläche für digitale Gewalt, Hatespeech und Antifeminismus entstanden.
Die gewaltsame Fortsetzung von Diskriminierung im digitalen Raum erzeugt Ausschlüsse und bringt zum Teil erhebliche physische und psychische Folgen für Betroffene mit sich. Sie schränkt die Meinungs- und Entfaltungsfreiheit von Angehörigen bereits diskriminierter Gruppen ein und ist eine Gefahr für die Demokratie. Die Logik der Social-Media Architekturen sowie deren, von Algorithmen geleitete Ordnung tut ihr Übriges.
Welche Formen können Diskriminierung und Gewalt im digitalen Raum annehmen und was können wir dagegen tun?

29.05.2024
Daniela Hosser: Häusliche Gewalt: Leben in toxischen Partnerschaften

Trotz staatlicher Bemühungen nimmt häusliche Gewalt, insbesondere die Partnerschaftsgewalt, in Deutschland zu. Doch wenn der Ort, an dem man sich eigentlich sicher und geborgen fühlen sollte, zum Tatort wird, ist das Leid der Betroffenen häufig kaum mehr zu fassen. Die Praxis zeigt, dass es Gewaltopfern oft auch nicht gelingt, sich dauerhaft aus toxischen Paarbeziehungen zu befreien, was nicht nur persönliche, sondern auch sozialstrukturelle bzw. gesellschaftliche Gründe hat.
Der Vortrag stellt das Phänomen häusliche Partnerschaftsgewalt und seine Folgen in seinen verschiedenen Facetten dar und geht auf die Bedeutung von Prävention, nachhaltigen Hilfen und effektiver TäterInnenarbeit ein.


05.06.2024
Kim Lisa Becker: Geschlechterrollen im Salafismus: Angebote, Gefahren
&
Potenziale gender-reflektierter Arbeitsansätze

Menschen schließen sich aus unterschiedlichen Gründen radikalen oder auch extremistischen Bewegungen an. Meist stecken sozialpsychologische Bedürfnisse dahinter, die dann durch ideologisch gerahmte Angebote aufgegriffen werden. Auch die Konstruktion von spezifischen Geschlechterrollen-Bildern knüpft an eben jene Bedürfnisse an. Am Beispiel des Salafismus werden diese Konstruktionen und Angebote genauer beleuchtet und in Zusammenhang mit den Erfahrungen und Erlebnissen meist junger Menschen gesetzt, die sich (ideologisch) radikalisierten oder auch extremistischen Angeboten zuwenden. Auch die gesellschaftlichen und individuellen Gefahren, die daraus für Betroffenen selbst, aber auch ihr Umfeld resultieren können, werden in den Blick genommen und diskutiert. Aus diesen Erkenntnissen werden Schlussfolgerungen gezogen, welche Potenziale in eine gender-reflektierten Präventionsarbeit liegen, und welche Haltungs- und Handlungstipps unterstützen, mit Betroffenen oder dem Umfeld von (mutmaßlich) radikalisierten Personen (besser) ins Gespräch zu kommen.


19.06.2024
Andreas Kemper: Diskurskoalitionen des Antifeminismus

Neoliberal-libertäre, national-völkische, christlich-aristokratische Gruppierungen finden über antifeministische Diskurskoalitionen zueinander. Aktuell kann der Antifeminismus als Opferideologie betrachtet werden, der einerseits maskulistisch auftretend Männlichkeit als Opfer, andererseits familistisch orientiert die sogenannte ‚traditionelle Familie‘ als Opfer des „Globohomo unter dem Regenbogen“ (Maximilian Krah) inszeniert.
Die ‚Ungleichzeitigkeit‘ dieser Strömungen wird anhand der ‚fossilen Männlichkeit‘ aufgezeigt. Hier stellt sich die Frage, ob die energetische Forcierung noch mit dem Konzept des ‚männlichen Habitus‘ (Bourdieu) gefasst werden kann, oder ob nicht eher vom ‚petromaskulinen‘ (Daggett) Virtus gesprochen werden müsste. Anhand des Familismus (‚Lebensrechtsbewegung‘, Anti-Queer-Bewegung) kann die ‚Ungleichzeitigkeit‘ über die Dominanz des ‚Adels‘ in den Kampagnenstrukturen aufgezeigt werden – wobei sich hier wiederum die Frage stellt, warum der ‚Adel‘ bislang nicht als klassenspezifische Führungsstruktur des familistischen Antifeminismus markiert wurde.

03.07.2024
Jan Büssers: Queer als Angriff auf die Geschlechterordnung: Technikgeschlecht, Utopien und Materialismus

Ordnungen wandeln sich. Sie wandeln sich entlang gesellschaftlicher und ökonomischer Entwicklungen. Anhand des Beispiels queeren Denkens und queer-aktivistischen Handelns untersucht dieser Teil des Seminars, die (utopischen) Ideen queerer Denker*innen wie Michel Foucault, José Esteban Muñoz, Paul B. Preciado und Friederike Beier. Im Rekurs auf materialistische Denker*innen machen diese die Möglichkeiten einer queer-utopistischen Andersheit denkbar. Dabei wird auch immer eine (Re-) Vision des Bestehenden und dessen Genese gewagt.