Argumente gegen staatliche Einschränkungen geschlechtergerechter Sprache
In einigen deutschen Bundesländern wurde bereits in verschiedener Form ein Verzicht auf eine geschlechtergerechte Sprache mit Sonderzeichen staatlich angeordnet. Warum ein solches Vorgehen, welches in einem sogenannten Genderverbot gipfeln kann, eine Gefahr für unsere Demokratie ist, wird in diesem Beitrag beantwortet. Zudem wird gefragt, welche Rolle unser Grundgesetz bei dieser Debatte spielt und ob ein „Genderverbot“ verfassungsrechtlich überhaupt zulässig ist.
Sprachregelungen in den Bundesländern
Einschränkende Sprachregelungen
Die Angaben sind unterschiedlich und teils widersprüchlich, betreffen jedoch immer die Schriftsprache. Unser aktueller Stand ist, dass in Bayern und Hessen die Verbote am weitesten gehen. Hier begrenzen sich die Regelungen nicht auf eine Einhaltung der Rechtschreibregeln in Schulen, sondern umfassen in Bayern (März 2024) ein ausdrückliches Verbot von „mehrgeschlechtliche(n) Schreibweisen durch Wortbinnenzeichen“ für staatliche Behörden einschließlich Hochschulen. In Hessen (2024) sind „verkürzte Formen mit Sonderzeichen“ für die Landesverwaltung „nicht länger erlaubt“, wobei nach Protesten nachträglich betont wurde, dass dieses nur die Verwaltung von Hochschulen und Staatstheatern beträfe. Andere Bundesländer wie Sachsen (2021 bzw. 2023) und Baden-Württemberg (2024) stellen explizit und teils erneut klar, dass für die Verwaltung die Einhaltung des amtlichen Regelwerks der deutschen Rechtschreibung gilt.
Einen Zwang zum Gendern gibt es in keinem Bundesland.
Sprachregelungen im Bereich Schule
Im Bereich Schule sind mehr einschränkende Regelungen vorhanden, v.a. in Bayern, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Meist wird hier auf das Regelwerk des Rechtschreibrates verwiesen, die eine Verwendung von Sonderzeichen nicht vorsieht. Die Anweisungen unterscheiden sich darin, ob die als Fehler zu markierenden Schreibweisen mit Sonderzeichen mit einem Punktabzug verbunden werden oder nicht. Meist ist dieses nicht der Fall.
Die Kultusministerkonferenz (KMK) ist eines der zwei in Deutschland zuständigen staatlichen Stellen, die über die Anpassung des Amtlichen Regelwerks für die deutsche Rechtschreibung entscheiden. Damit verbunden ist auch ein Amtliches Wörterverzeichnis. Zugestimmt wurde der Fassung vom Rat für deutsche Rechtschreibung, in der Sonderzeichen im Wortinneren nicht aufgenommen wurden. Dieses soll spätestens zum Schuljahresbeginn 2027/28 verbindlich umgesetzt sein.
Ermöglichende Sprachregelungen
Es gibt auch Bundesländer mit Empfehlungen oder Erlaubnisse für gendergerechte Sprache, so für geschlechterneutrale Begriffe oder Paarformen (Berlin) oder die Verwendung des Doppelpunktes als Gender-Sonderzeichen (Bremen und Saarland). Dieses gilt jeweils auch für den Bereich Schule, wobei in Berlin entsprechend der Entscheidung der KMK ab 2026 eine Einschränkung vorgesehen ist.
Rechtliche Einschätzung
Den Werten des Grundgesetztes entspricht es, durch Sprache möglichst niemand auszuschließen bzw. alle zu repräsentieren. Die Jurist*innen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) schreiben in ihrem Kurzgutachten zum staatlichen „Genderverbot“ von Mai 2024, es bestehe „insbesondere die Gefahr, dass staatliche Einrichtungen verpflichtet werden, das Geschlechtsdiskriminierungsverbot (Artikel 3 GG) sowie allgemeine Persönlichkeitsrechte (Artikel 2 I in Verbindung mit Artikel 1 I GG) von Frauen, intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen zu verletzen“ (S. 3).
Zudem würden je nach Bereich die Meinungs-, Wissenschafts-, Rundfunk- und Kunstfreiheit (Art. 5 GG) oder die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) angegriffen sowie die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) eingeschränkt. Kommunen können sich zudem auf das Grundrecht der kommunalen Selbstverwaltungshoheit (Art. 28 GG) berufen. Nicht zu vernachlässigen ist, dass dieses staatliche Handeln im Widerspruch zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und der darin enthaltenen Rechtslage für die Privatwirtschaft steht.
Das achtseitige Gutachten enthält genauere Ausführungen zu den einzelnen Bereichen Verwaltungssprache des Bundes sowie der Länder, Rundfunk, Universitäten und Schulen. Eine kurze Zusammenfassung mit Stellungnahmen der Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung finden sich auf der Seite der ADS.
GEnaue Einordnung erforderlich
Welche Grundrechte eingeschränkt oder gar verletzt werden, hängt juristisch von den konkreten Regelungen ab. Laut Gutachten gibt es in den seltensten Fällen „Genderverbote“. Meist handelt es sich somit um Einschränkungen oder Regelungen, wie für die Verwaltungssprache des Bundes, für die das Regelwerk zur deutschen Rechtschreibung verbindlich ist. Im Bereich Schule handelt es sich in allen sieben Bundesländern nicht um Verbote, sondern „Gebote, keine Wortbinnenzeichen wie den Genderstern zu verwenden“ (S. 3). Was dieses genau heißt, wird in den bereichsspezifischen Ausführungen im Gutachten deutlich.
Wie weit die Debatte zum Thema geschlechtergerechte Sprache bereits zurückgeht, zeigt der Verfassungsblog mit vielen rechtlichen Hinweisen und Beispielen.
Handlungsrahmen Hochschulen
Betroffene Hochschulen und hochschulische Selbstvertretungen argumentieren mit dem Verweis auf die Wissenschaftsfreiheit und die Hochschulautonomie.
Bayern
So stellt in Bayern z.B. die Universität Passau klar, dass die staatliche Auflage weder für Forschung und Lehre noch für die Studierenden Gültigkeit hat. Entgegen der Aussagen des Bayerischen Staatsministers für Wissenschaft und Kunst, die auf einen vorhandenen Genderzwang oder eine schlechtere Bewertung beim Nicht-Gendern verweisen, stellen die Studierendenvertretungen mehrerer bayerischer Hochschulen klar, sie haben hierzu noch nie Beschwerden erreicht. Statt eines Verbotes sollte in einem solchen Fall auch eher „dieses vor Ort im Gespräch mit den zuständigen Akteur*innen gelöst werden“.
Hessen
In Hessen formierte sich Widerstand gegen das Vorhaben eines Verbotes, das in der Stellungnahme der Konferenz Hessischer Universitätspräsiden (KHU) kulminiert: „Die hessischen Hochschulen verstehen sich als vielfältige und inklusive Orte, die sich die Verwirklichung von Gleichstellung, Diversität und Antidiskriminierung zum Ziel gesetzt haben. Dazu gehört auch die Möglichkeit, Personen aller Geschlechtsidentitäten in der Ansprache einbeziehen zu können.“ Das „Genderverbot“ wurde daraufhin explizit von der Politik auf die Hochschulverwaltung beschränkt, womit auf dieser Ebene eine alle Geschlechter inkludierende Ansprache verhindert wird. Was dieses für die tägliche Arbeit bedeutet, lässt sich am Beispiel der an der Klarstellungen der Universität Kassel nachlesen.
Gebot einer mehrgeschlechtlichen Schreibweise
In Deutschland gibt es mehr als zwei Geschlechter. Aufgrund des Verfassungsgerichtsurteils von 2017 wurde 2019 das dritte Geschlecht „divers“ im Personenstandsgesetz eingeführt, welches laut Selbstbestimmungsgesetz nun nicht mehr nur auf inter* Menschen beschränkt ist.
Spätestens diese anerkannte gesellschaftliche Realität kann als Verpflichtung verstanden werden, die Sprache entsprechend anzupassen. Dies bedeutet Formen zu finden, die das binäre System überschreiten. Denn dass das generische Maskulinum nicht als neutral verstanden wird, zeigt ein Überblick über die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten 50 Jahre. Auch neuere Forschung z.B. aus der Neurowissenschaft belegt dieses.
Diesen Erkenntnissen folgend wird mit dem generischen Maskulinum bereits gegendert, d.h. eine vergeschlechtlichte Sprache verwendet. Die Verwendung von mehrgeschlechtlichen Schreibweisen hat zum Ziel, diese Einseitigkeit aufzuheben und alle Geschlechter zu inkludieren.
Zum verständlichen und eleganten Gendern mit und ohne Sonderzeichen gibt die Seite Genderleicht & Bildermächtig Hinweise.
Rechtschreibung und Sprache
Es zeigt sich, dass ein Großteil der Diskussion weniger darum kreist, ob eine geschlechtergerechte Sprache sinnvoll ist. Dieses wird häufig bejaht. Sprache war schon immer im Wandel und passt sich den gesellschaftlichen Realitäten an, wie ein Blick auf historische Sprachdebatten zeigt.
Es ist mehr eine Wie-Frage: Welche Formen sind geeignet, um auch Kriterien wie Grammatik und Verständlichkeit zu berücksichtigen? Dieses bedarf einer guten Streitkultur in der Wissenschaft, wie dieser Einwurf einfordert. Auch für eine gute funktionierende Demokratie ist es wichtig, dass Meinungsstreitigkeiten nicht unterdrückt werden, so das Argument eines weiteren Beitrags.
Rat für deutsche Rechtschreibung
Viele staatliche Regelungen der Schriftsprache beziehen sich auf die Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung. Dieser empfiehlt zu dem jetzigen Zeitpunkt nicht, Formen wie den „Genderstern“ oder den Unterstrich in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung aufzunehmen. Doch bekräftigt dieser in seiner Pressemitteilung von Dezember 2023 explizit, „dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll. […] Der Rat für deutsche Rechtschreibung wird die weitere Schreibentwicklung beobachten, denn geschlechtergerechte Schreibung ist aufgrund des gesellschaftlichen Wandels und der Schreibentwicklung noch im Fluss.“
Entscheidungsgrund sind verschiedene Kriterien, die geschlechtergerechte Texte erfüllen sollen, u.a. Verständlichkeit und Lesbarkeit, Rechtssicherheit und Eindeutigkeit und die Erlernbarkeit.
Rechtschreibrat eröffnet Optionen für Schulen
Schule wird als „Ort zur Vermittlung der orthografischen Normen“ hervorgehoben. Die Reflexion geschlechtergerechter Schreibweisen im Schulunterricht schließt der Rat aber dezidiert nicht aus: „In den höheren Schulstufen können dann auch die Entwicklungen der geschriebenen Sprache der letzten Jahre mit den Sonderzeichen im Wortinnern und zwischen Wörtern zur Kennzeichnung einer geschlechtsübergreifenden Schreibintention thematisiert und reflektiert werden. Vorgaben für die Bewertungspraxis liegen in der Zuständigkeit der Schulpolitik und obliegen nicht dem Rat für deutsche Rechtschreibung. Ob in diesem Sinne ggf. eine ‚rezeptive Toleranz‘ als eine schulpolitische Handlungsoption zu betrachten ist, obliegt ebenfalls den verantwortlichen staatlichen Stellen.“
Ausführlichen Erläuterungen und Begründungen sind in einem zwölfseitigen Papier des Rates nachzulesen.
Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS)
Die wissenschaftliche Fachgesellschaft GfdS „unterstützt die Bemühungen um eine sprachliche Gleichbehandlung“. Die nur zwei Geschlechter berücksichtigende Beidnennung (Studentinnen und Studenten) sowie Ersatzformen wie Substantivierung, Passivierung, Sachbezeichnung und viele mehr empfiehlt sie in ihren Leitlinien, da sie den Kriterien von Verständlichkeit, (Vor-)Lesbarkeit, grammatische Korrektheit sowie Eindeutigkeit und Rechtssicherheit entsprechen. Doch verweist sie auch auf die Entwicklungsmöglichkeiten von Sprache: „Somit wäre es notwendig, ein viertes Genus zu etablieren und entsprechend neue Flexionsformen, Artikel und Pronomen zu entwickeln. […] Insofern sind realistische und orthografisch wie grammatisch korrekt umsetzbare Möglichkeiten einer umfassend geschlechtergerechten Sprache weiterhin zu diskutieren.“
Dass mit dem Entgendern nach Phettberg eine solcher Vorschlag bereits existiert, wird wenig diskutiert.
Weitere Materialien zum Thema
Einen wissenschaftlichen Überblick über Argumente, Positionen und Perspektiven gibt die von Andrea-Eva Ewels und Damaris Nübling herausgegebene Neuerscheinung „Geschlechterbewusste Sprache“.
Unsere MedienBar (5) zu geschlechtergerechter und queerbewusster Sprache bietet weitere Informationen zum Thema und Argumente gegen die Kritik am Gendern finden sich bei Genderdings!
Einen detaillierteren Überblick liefert das Dossier „Gendern: Ein Pro und Contra“ der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Hier finden sich am Ende zahlreiche Quellen und weitere Informationen, die zum Weiterstöbern einladen.
Beitragsserie MedienBar des BZG
Wir bringen seit Oktober 2022 in unregelmäßigen Abständen in dieser Serie MedienBar Beiträge, in denen wir multimediale Materialien zu queer-feministischen Themen vorstellen.
Wenn Sie Material zu einem bestimmten Thema suchen oder entsprechende Tipps für uns haben, schreiben Sie gerne an Juliette Wedl.
Bisher erschienen
MedienBar (1): Gender-Mediathek
MedienBar (2): Willkommen im Club
MedienBar (3): Geschlechtliche Selbstbestimmung
MedienBar (4): Religion, Geschlecht und Sexualität
MedienBar (5): Geschlechtergerechte und queerbewusste Sprache
MedienBar (6): Verfolgung queerer Menschen im Nationalsozialismus
MedienBar (7): Gleichstellung der Geschlechter
MedienBar (8): Kurzeinblicke in Geschlechterforschung der FU Berlin
MedienBar (9): Nachhaltigkeit und Geschlecht