Von der Pharmapornographie zu Frankensteins Monster

Queere Themen in Forschung und Lehre von Jan Büssers

Seit Juni 2022 ist Jan Büssers Referent der Geschäftsstelle des Braunschweiger Zentrums für Gender Studies. Grund genug, um ihn vorzustellen – zumal er bereits seit mehreren Jahren an der TU Braunschweig und im Gender-Netzwerk aktiv ist.
Jan Büssers war Teil des Promotionsprogramms „Konfigurationen von Mensch, Maschine und Geschlecht“ (KoMMa.G) und hat ab dem Sommersemester 2020 als Lehrbeauftragter insgesamt fünf Blockseminare gegeben. Diese geben einen guten Einblick in seine Forschungsschwerpunkte. Im Fokus standen dabei immer queere Themen – von Preciados Zeitalter der Pharmapornographie bis zu Strykers monströsen Worte an Victor Frankenstein oberhalb des Dorfes Chamounix. Dabei verbinden sich seine Studienfächer Philosophie und Biotechnologie.

Pharmapornographie in Zeiten der Pandemie

Das erste Blockseminar „Testo Junkie. Queere Perspektiven auf Körper, Technik und Biopolitik“ im Sommersemester 2020 fiel ausgerechnet in die Zeit großer Unsicherheiten durch die Pandemie. Es verband sich mit der quasi allgemeinen Neuerfindung der Lehre in virtuellen Räumen. Auf dem Plan stand die Besprechung von Paul B. Preciados „Testo Junkie. Sex, Drogen und Biopolitik in der Ära der Pharmapornographie“, einem Text zu (Sexual)Hormonen. Diese werden sowohl aus historischer Perspektive betrachtet als auch ein Selbstversuch geschildert. Er verweist auf die unhinterfragte Omnipräsenz von Hormonpräparaten in heteronormativen Kontexten in westlichen Gesellschaften.

Preciado, heute ein non-binärer Transmann, schreibt das Buch noch vor seiner Transition und hat zum Zeitpunkt des Erscheinens des Werkes noch keine Intention zu transitionieren. Deshalb charakterisiert Preciado den Selbstversuch mit Testosteron zu diesem Zeitpunkt noch als Drogenabhängigkeit, wie auch der Titel „Testo Junkie“ impliziert. Die Applikation von Testosteron wird zum Selbstexperiment stilisiert, bei dem die Wirkungen der „Droge“ im Text dokumentiert werden (wie in den Selbstversuchen mit Haschisch von Walter Benjamin). Neben dem Selbstversuch konstatiert Preciado allgemeiner, dass der Einsatz von Sexualhormonen (z.B. Antibabypille) oder anderer pharmazeutischer Wirkstoffe für die Sexualfunktion (z.B. Sildenafil, besser bekannt als Viagra) aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Insofern beschreibt Preciado das gegenwärtige Zeitalter insgesamt als ein Pharmapornographisches. Tagesaktuell passend wurde auch der damals neue Essay Preciados „Vom Virus lernen“ (2020) aufgegriffen, in dem ebenfalls Gedanken zur Pharmapornographie mit Blick auf die COVID19-Pandemie gewagt werden.

Biopolitik oder wo der Trubel beginnt

Aus den Recherchen zum Testo Junkie-Blockseminar entsprang die Idee, mit Studierenden die Grundlagen des Begriffs Biopolitik zu ergründen und queere Perspektiven auf das Konzept zu eröffnen. So fand im Wintersemester 2020/21 das Blockseminar „Biopolitik – Ursprung eines Begriffs und queere Perspektiven“ statt. Mit einordnenden Grundlagentexten von Thomas Lemke ging es von der ersten systematischen Erwähnung des Begriffs bei Michel Foucault (Vorlesung vom 17. März 1976), über das Aufgreifen des Begriffs bei Giorgio Agamben in „Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben“ hin zur Interpretation der Biopolitik in den Werken „Empire“ (2003) und „Multitude“ (2004) von Antonio Negri und Michael Hardt.

Dabei konnte erarbeitet werden, wie biopolitische Maßnahmen zur Beherrschung von Leben und Tod gerade auch mit Blick auf Geschlecht (z.B. in der Nutzung der biologischen Kategorie zur Festlegung eines Personenstands) und der Sexualität (z.B. im Verbot der Homosexualität) zum Tragen kommen. Abschließend wurden Gedanken von Paul B. Preciado aus seinem damals neu erschienen Buch „Ein Apartment auf dem Uranus“ (2020) aufgegriffen, in dem Preciado beschreibt, wie nicht nur das Überschreiten der Geschlechtergrenzen, im Sinne der Transition, streng gesetzgeberisch reguliert ist. Auch bei Grenzkontrollen beim Übergang des eigenen Körpers von einem Land in ein anderes findet eine Überprüfung der Personalien mit biopolitischen Kenngrößen wie dem Geschlecht und Personenstand statt, was zum Problem gerade für queere Menschen werden kann, z.B. dem Geschlechtseintrag bei trans* Personen oder der Anerkennung von Ehen bei gleichgeschlechtlichen Partner*innen.

Die Normalisierung des Körpers

Den (menschlichen) Körper und seine Vereinnahmung durch die Wissenschaften in den Fokus zu nehmen, war das erklärte Ziel des Blockseminars „Queere Körper. Streifzüge in der Wissenschafts- und Ideengeschichte körperlicher Normen und Andersheiten“ im Sommersemester 2021.

Die Texte von Michel Foucault zur Intergeschlechtlichkeit (oder „Hermaphrodismus“, wie es historisch bezeichnet wurde) führten in das Problemfeld ein. Die Zuschreibung eines „wahren Geschlechts“ bei uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen ist das Ziel in den Praktiken vergangener Jahrhunderte. Foucault arbeitet dies in seinen einleitenden Bemerkungen zum Fall Herculine Barbin unter dem Titel „Das wahre Geschlecht“ aus. Dass das biologische Geschlecht selbst etwas ist, das zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich gelesen wurde, problematisierte das Seminar anhand von Auszügen aus Thomas Laqueurs „Auf den Leib geschrieben“ (englischer Originaltitel: „Making Sex“). Mit Referaten zu Magnus Hirschfeld, Lili Elbe und Susan Stryker wurde eine Brücke zu Körpern von trans* Personen geschlagen. Außerdem entstanden Seminararbeiten z.B. zu Birgit Stammbergers „Monster und Freaks. Eine Wissensgeschichte außergewöhnlicher Körper im 19. Jahrhundert“.

Auf den Spuren Michel Foucaults

Im Wintersemester 2021/22 standen sowohl die Person Michel Foucault und seine Wegbegleitenden als auch ein Que(e)rschnitt des Werks Foucaults im Fokus der Veranstaltung. Das Blockseminar „Foucault que(e)r gelesen. Über Wissen, Sexualität und Wahrheit“ näherte sich dem Gegenstand mit dem Foucault-Interview „Nein zum König Sex“ und Ausschnitten aus dem Sammelband bzw. der Dokumentation „Foucault gegen Foucault“ (der Einleitung von François Callait und dem Interview „Was heißt es, zu denken?“ mit Geoffroy de Lagasnerie). Hierbei konnten erste Konzepte und Begriffe vom Verhältnis Wissen, Sexualität und Wahrheit erarbeitet werden sowie das Verhältnis von Subjekt und Macht in Foucaultscher Lesart eröffnet werden.

Auch dieses Seminar beschäftigte sich mit dem Fall Barbin, bevor es dann an Ausschnitte aus den großen Werken „Überwachen und Strafen“ und „Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit Band 1“ ging. Wegmarken aus dem Leben Foucaults wurden mit Erinnerungen von Hervé Guibert und Didier Eribon erschlossen. In Referaten wurden Foucaults Arbeiten durch Einordnungen von Jürgen Habermas und Paul Veyne ergänzt.

Sprechende Monster oder All monsters are human

Aus der Beschäftigung mit dem Text von Susan Stryker und der Foucaultschen Rezeption des Hermaphrodismus in „Die Anormalen. Vorlesungen am Collège de France 1974-75“ wurde die Idee für das Blockseminar im Sommersemester 2022 geboren: „Queere Monstrosität – Über die Ideengeschichte des Begriffs Monster und seine Aneignung in den Queer Studies“. Zudem erschien gerade Paul B. Preciados „Can the Monster Speak?“ (2021), das neben Susan Strykers Aufsatz „My Words to Victor Frankenstein above the Village of Chamounix. Performing Transgender Rage“ als ein wichtiges Zeugnis für die Selbstwahrnehmung von trans* Personen als Monster im medizinisch-psychiatrischen Diskurs angeführt werden kann.

Anhand dieser Texte konnte aufgezeigt werden, wie das Bild einer Monstrosität entsteht: Das Absprechen der Natürlichkeit, die Stilisierung einer Widernatur, Devianz, Grenzüberschreitung und die Abkehr des Schöpfers von seiner Kreatur (wie bei Frankensteins Monster). Es lassen sich Parallelen herstellen zwischen der Position, die queere Personen in der Gesellschaft haben, und den Ausschlussmechanismen, die das Monster erfährt – doch in der positiven Aneignung des Konzepts liegt auch ein subversives Moment, nämlich wenn das Monster lernt, von sich zu sprechen, und auf das eigene Recht pocht.

Queering TUBS

Die Blockseminare, die in der Abteilung für Geschichte der Naturwissenschaften mit Schwerpunkt Pharmaziegeschichte angesiedelt waren und durch das Braunschweiger Zentrum für Gender Studies finanziert wurden, zeigten, dass es einen Bedarf an der Auseinandersetzung mit queeren Themen, Publikationen und Autor*innen gibt. Dies zeigte sich insbesondere in der regen Debattenkultur in diesen Seminaren, die stets von am Thema interessierten Teilnehmenden besucht wurden. Dabei konnten neben den geplanten Texten auch tagesaktuelle Geschehnisse und Initiativen eingebaut und vorgestellt werden. Die jeweils interdisziplinäre Zusammensetzung der Kursteilnehmenden ermöglichte eine Vielfalt der Blickwinkel auf die besprochenen Texte. Queer Studies müssen auch weiterhin einen Platz an der TU Braunschweig haben, damit nicht nur die Regenbogenfahnen am Universitätsplatz wehen, sondern auch Vielfalt im Denken Einzug in Lehre und Forschung hält.

Zur Person

Jan Büssers, M.A.

Braunschweiger Zentrum für Gender Studies
Bültenweg 17
38106 Braunschweig
Telefon: 0531-391 4544
E-Mail: genderzentrum@tu-braunschweig.de

Forschungs- und Lehrschwerpunkte:

Queer und Gender Studies, New Materialism(s), Technikphilosophie, Wissenschaftsgeschichte

Jan Büssers war von 2017-2020 Teil des Promotionsprogramms „Konfigurationen von Mensch, Maschine und Geschlecht“ (KoMMa.G). Hier entstand der interdisziplinäre Band „Gendered Configurations of Humans and Machines. Interdisciplinary Contributions” (Verlag Barbara Budrich, Band 8 der Reihe L’AGENda, 2021), den er zusammen mit Anja Faulhaber, Myriam Raboldt und Rebecca Wiesner auf Grundlage der gleichnamigen internationalen Tagung in Braunschweig aus dem Jahr 2019 herausgegeben hat.

Zurzeit ist er Referent am Braunschweiger Zentrum für Gender Studies und arbeitet nebenher an der Fertigstellung seiner Dissertation im Fach Philosophie an der TU Darmstadt. Im Rahmen der Reihe „Role Models – First Generation Students an der TU Braunschweig“ gab er vor Kurzem ein Interview.