Der Start ins zweite Jahr der Pilotphase
Die Nachfrage nach dem Gender-Zertifikat der TU Braunschweig wächst mit dessen zunehmender Bekanntheit. Im Wintersemester 2023/24 meldeten sich sechzehn Studierende zum Kolloquium an. Ziel des zertifikatsbegleitenden Kolloquiums ist es, bei der Themenfindung und Entwicklung einer Fragestellung für die beiden Modul-Abschlussarbeiten im Gender-Zertifikat zu unterstützen. Der folgende Beitrag illustriert anhand verschiedener Beispiele die Schwerpunkte der beiden Abschlüsse .
Theoretischer Schwerpunkt im Zertifikatsmodul „Grundlagen der Gender Studies“
Eine Reflexionsarbeit bildet die Abschlussleistung des Moduls „Grundlagen der Gender Studies“. Wer mit diesem 6CP-Modul in das Zertifikat startet, nutzt einen eher theoretischen Zugang in das Themenfeld.
Modulsturktur
Studierende erhalten eine Übersicht in das Fach der Gender Studies in einer einführenden Lehrveranstaltung zu grundlegenden Begriffen, Grundkenntnissen und Theorien. Außerdem besuchen sie ein Sensibilisierungstraining, um Handlungsoptionen kennenzulernen und um eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten anzuregen. Aufbauend auf diesen beiden Lehrveranstaltungen wird exemplarisch in der Reflexionsarbeit eine Fragestellung mit Theoriebezug vertieft. Diese Reflexion ermöglicht es, sich mit mehr Zeit einem der vermittelten grundlegenden Themen oder Theorien zu widmen oder eigene Ideen zum Thema (theoriegeleitet) zu vertiefen.
Themenbeispiele der Modul-abschlussarbeiten im Gender-Zertifikat
Die ersten Reflexionsarbeiten setzten sich mit Theorien aus dem sozialwissenschaftlichen Bereich auseinander. Beispielsweise beleuchtete eine Reflexion die „Second Shift Theory“ der amerikanischen Soziologin Arlie Russell Hochschild (Erstveröffentlichung 1989). Diese prägte den Begriff für die „2. Schicht“ der unbezahlten versorgenden Arbeit, die zusätzlich zur bezahlten Arbeit zuhause geleistet werde. In der Reflexion erfolgte eine kritische Positionierung zum Ertrag der Theorie in Bezug auf die eigene Fragestellung. So wurde im zeitlichen und kulturvergleichenden Rückblick die Argumentation der Autorin empirisch geprüft und abwägend bewertet. Überraschend wurde festgestellt, wie wenig sich bezüglich der ungleichen Verteilung der Carearbeit zwischen „den Geschlechtern“ seit der Diagnose von Hochschild verändert hat. Zur Vereinbarkeitsproblematik wurde zudem ein neuer Denkanstoß abgeleitet, da im Rückblick aus heutiger Sicht eine Thematisierung von Familienformen fehlt, die nicht der heteronormativen „Normalfamilie“ entsprechen (Regenbogenfamilien).
Anwendungsbezug Transfer im Zertifikatsmodul „Gender Studies in der Praxis“
Während die Reflexion auch Überlegungen zur persönlichen Haltung und dem eigenen Handeln einschließt, wird im Transferprojekt das eigene Studium daraufhin untersucht, an welchen Punkten bzw. Themen Geschlechterfragen verankert werden könnten.
Modulsturktur
Das eher anwendungsbezogene Zertifikatsmodul „Gender Studies in der Praxis“ (6 CP) beinhaltet den Besuch von einer Lehrveranstaltung mit Gender-Schwerpunkt. Im Transferprojekt wird untersucht, ob Elemente dieser Lehrveranstaltung in ein Anwendungsfeld im eigenen Studium transferiert werden könnten. Gäbe es ein Themenfeld in einer „normalen“ Lehrveranstaltung, das durch Methoden oder Themen der Gender Studies bereichert werden könnte? Wenn ein Themenbereich des eigenen Studiums aus einer „Genderperspektive“ analysiert werden soll, gilt es auch zu überlegen, welche Aspekte wo und wie vertieft werden könnten.
Themenbeispiele der Modul-abschlussarbeiten im Gender-Zertifikat
Verschiedene Transferarbeiten zeigten die Notwendigkeit zur Sensibilisierung für das Thema Geschlecht im Studium für pädagogische Anwendungsfelder auf, wobei jeweils verschiedene Dimensionen der Genderkompetenz fokussiert wurden:
- Ein Transferprojekt befasste sich mit einer professionsbezogenen Haltung zur Frage: „Inwiefern beeinflussen Geschlechterstereotype die Schulleistungen von Schüler*innen?“ (Dimension des Wollens/ (Selbst-)Reflexion)
- In einem weiteren Transferprojekt wurden auf der Praxisebene und auf den Unterricht bezogen Ideen entwickelt zum Umgang mit „Stolpersteinen der Diversität in der Sexualpädagogik“. (Dimension des Könnens und der Handlungsfähigkeit)
- Ein theoretischer Zugang wurde in einem dritten Transferprojekt untersucht: Hier wurde eine Theorie auf ihre Tauglichkeit für den Einsatz mit Lernenden analysiert und dabei „zwischen Empowerment, Normalisierung und Dekonstruktion“ ein „pädagogisches Trilemma“ für eine diskriminierungskritische Lehre skizziert. Dies wurde veranschaulicht anhand des Bilderbuches „Julian ist eine Meerjungfrau“ und mit einem Ausblick auf die Literaturdidaktik bzw. die Germanistik verbunden. (Dimension des Wissens)
Währen in den genannten Arbeiten der Transfer von einer Veranstaltung im eigenen Studienfach auf ebendieses erfolgte, nehmen weitere Arbeiten Lehrveranstaltungen aus anderen Fächern zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen und transferieren die Erkenntnisse in ihr eigenes Fach.
- Beispielsweise entstand aus dem Fokus auf „Musik und Gender“ die Transfer-Fragestellung: Wo und wie kann der Einfluss von Frauen und queeren Menschen im Soziologie- und Politikstudium thematisiert werden? Vorgeschlagen wird, die Musik als Raum kulturellen Austausches exemplarisch hinsichtlich inhärenter Machtstrukturen und Marginalisierungen, neuer Möglichkeiten der Partizipation, Formen des Protestes etc. näher zu beleuchten.
- Im medienwissenschaftlichen Kontext wurde das Thema „Diversität, Gender und das Modding von Computerspielen“ auf die Forschungsfrage hin untersucht: Inwiefern können queere Computerspiel-Modifikationen gesellschaftlichen Wandel befördern? Im Rahmen des Seminars hat der Studierende überlegt, wie Computerspiele verqueert werden können. In der Transferleistung wiederum wurde überlegt, wie dieser spielerische Prozess auf andere Bereiche übertragen werden kann, um einen gesellschaftlichen Wandel zu befördern. Dabei wurden zunächst Ausblicke auf die Spielenden gegeben und daraus Vorschläge für das sozialwissenschaftliche Studium abgeleitet.
Transfer vom Transfer im Kolloquium
Bei der Diskussion von Abschlussprojekten überlegen die anderen Kolloquiumsteilnehmenden, ob und wo die Transferideen auf die eigenen Studienfächer angewendet werden könnten. Welche Literatur könnte zusätzlich genutzt werden? Damit werden durch den interdisziplinären Vergleich auch bei den Zuhörenden Impulse ins eigene Fach gesetzt und Leerstellen deutlicher sichtbar.
Generierung von Themen und Fragestellungen
Die beschriebenen Arbeiten wurden im Sommersemester 2023 diskutiert. Einige der beispielhaft skizzierten Projekte entstanden originär aus Prüfungsleistungen, die in Seminaren mit Gender-Schwerpunkt erbracht worden waren. Diese wurden mit einer Zuspitzung auf den Transfer und mit Ausblick auf das eigene Studium vertieft und – unter Anrechnung der vorab eingebrachten Leistungen – mit der Vorstellung im Kolloquium abgeschlossen.
Andere Transferarbeiten wurden neu entwickelt und die Ideenskizzen, Fragestellungen und ersten Erkenntnisse zunächst im Kolloquium vorgestellt. Nach Diskussion und Feedback werden die Ergebnisse der Transferprojekte danach in einer Ausarbeitung verschriftlicht.
Beratung zum Zertifikat
Die am Zertifikat interessieren Studierenden lassen sich häufig zunächst von der Referentin für das Gender-Zertifikat beraten, ob sie bereits im eigenen Studium besuchte Lehrveranstaltungen in das Zertifikat einbringen können und welche Lehrveranstaltungen ihnen zur Wahl stehen – dazu wird in jedem Semester eine Liste auf der Homepage zusammengestellt. Die Anmeldung zum Zertifikat erfolgt durch die Anmeldung zum Kolloquium.
Die Studierenden können frei wählen, mit welchem Modul begonnen wird und in welcher Reihenfolge sie die beiden Abschlussleistungen erbringen möchten. Während manche sich lieber theoretisch dem Thema nähern, fällt anderen der praktische Einstieg leichter.
Für eine Beratung oder die Vormerkung für das Kolloquium wenden Sie sich bitte an die Referentin für das Gender-Zertifikat. Informationen und Sprechstundentermine erhalten Sie unter: zertifikat-gender-studies@tu-braunschweig.de
Für das Sommersemester 2024 ist die Anmeldung geöffnet bis 05.04.2024.